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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0158
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154 BESPRECHUNGEN.

wollen, so müssen wir einerseits hervorheben, daß in der Tat eine selten intensive
Denkarbeit, im künstlerischen Sinne, hier stattgefunden hat, ohne etwa in einem
Dogma oder zugespitzter Theorie zu erstarren; man ist hier auch sehr fern von
jedem Oenialitätswahn, der die wichtigsten Dinge einer Eingebung überläßt; ander-
seits ebenso fern von einem Nachbeten vergangener Ideale, aus denen eine Regel
abstrahiert wird; die Stellung zur Vergangenheit scheint mir eine der wesentlichsten
Seiten dieser Kunstauffassung zu sein, denn sie versteht es, in neuem Geiste ewige
und klassische Kunstideale in sich aufzunehmen und fortzuführen. Und weil der
strengen Arbeit eine so wichtige Rolle zuerteilt wird — »ererbtes Talent ist erst
dann eine künstlerische Fähigkeit, wenn es neu erworben wird« — und aus allen
Äußerungen ein liebevolles Herausholen schwerblütiger oder ungeschickter Anlagen
hervortritt, deshalb erscheint diese Kunstauffassung als so besonders geeignet, in
pädagogischem Sinne weithin zu wirken. — Das zweite und nicht minder Wichtige
aber ist die gründliche Durcharbeitung der elementaren Basis jeder künstlerischen
Gestaltung. Hier ist wirklich eine feste und breite Grundlage gegeben, auf der
dem individuellen Talent sowohl sicheres praktisches Können als auch weiter Spiel-
raum gegeben wird. Wenn wir die Franzosen um ihre malerische Tradition be-
neiden, die unbeirrt von allen Schwankungen jedem Kunstbeflissenen eine solide
Basis gibt (auch in der Musik macht sich diese Solidität der Grundlage geltend),
so ist hier in der Tat etwas geschaffen, was für die spezifisch deutsche Kunst-
auffassung den Anknüpfungspunkt zu einer solchen Tradition geben kann. Solche
Dinge, wie Kunowski sie gibt, sind tradierbar, ohne deswegen den Schüler in aka-
demischer Schablone zu ersticken.

Es ist nun schwierig, aus der Fülle der Gesichtspunkte und ohne auf die ganzen
technischen Grundlagen einzugehen, hier ein Bild von dieser Methode und Kunst-
auffassung zu geben. Hervorzuheben ist, daß sie sich nie auf außerkünstlerische
Gebiete verirrt und das Heil weder in einer mathematischen Formel oder Form-
auffassung, noch in einer naturalistischen Nachahmung sucht, so ernstlich auch
die naturwissenschaftlich anatomischen Fortschritte der Erkenntnis hineinbezogen
werden. (»Wissen wir mehr als die Ägypter von Knochen, Muskeln .. ., von Natur-
gesetzlichkeit und Funktion des Leibes, so müssen wir, als Vorstellungsarchitekten,
zehnmal so stark werden wie die Ägypter, um die Wirkung innerer Organisation
als solche der Erscheinung darzustellen.«) Und die Übersetzung der mathematischen
Dimensionen in die künstlerischen Richtungsdimensionen ist außerordentlich geist-
reich und einleuchtend durchgeführt; eine genauere Darstellung dieser Seite würde
leider zu weit führen.

Vorstellungsarchitekten! Darin haben wir einen Grundzug der Kunowskischen
Auffassung. Die Körper, die Beziehungen der Körper zum Außenraum werden
gleichsam gebaut. Ein Hilfssystem von »Visierlinien« dient in den vorbereitenden
Sinnesübungen dazu, die wesentlichen Punkte des Körpers in ihrer gegenseitigen
Beziehung und in ihrer Beziehung zum Raum zu verbinden, die »organischen
Schwünge« nachzufühlen, im Auge sich einen nicht mathematischen, aber künstle-
rischen Zirkel für Abstände, Verlauf und Beziehung von wesentlichen Körperlinien
zu erziehen. Zugleich wird die organisatorische Kraft solcher herausgefühlten und
dargestellten Körperverhältnisse für die Umgebung klargelegt. Dabei fällt viel
Interessantes für das Verständnis der Freiplastik ab. »Eine den Raum beherrschende
Freiplastik ist unmöglich ohne Studium der fernhin wirkenden Kraft in den Kanten
und Schwüngen einer Gestalt, die den Außenraum organisiert aus den Kräften des
Innenraums.« — Kunowski eifert gegen die Unarten des sogenannten malerischen
Zeichnens, das oft in der Tat eine Verhüllung in blaue Wolken des künstlerisch-
 
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