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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Deri, Max: Kunstpsychologische Untersuchungen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0217
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KUNSTPSYCHOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN. 213

wenn ich ein Publikum eine Wanderung vom Frühling in den Herbst
machen lasse, indem ich Veilchen-, Rose-, Heu-, Laubgerüche nach-
einander durch einen Saal streichen lasse, so unterscheidet sich dieses
»Kunstschöne« für die Nase in keinem wesentlichen Punkte vom
Kunstgefühlsvermittelnden irgendeines erzählenden Bildes für das Auge.
Für diese abschildernde »naturalistische« Geruchskunst bleibt nur die
eine große Schwierigkeit gegenüber der Augenkunst bestehen, daß
verhältnismäßig doch auch wieder wenig Dinge dieser Welt dem
Menschen riechen. Ist fast alles im Lichte sichtbar, kann wenigstens
fast alles Lebendige Töne von sich geben, so riecht nur ein ganz
kleiner Teil des Erlebbaren. Und da die Natur-Gefühlsvermittlungen
für die Nase so selten sind, hat eben auch das naturalistische Kunst-
Gefühlsvermittelnde, die abschildernde Kunst für die Nase ein so kleines
Gebiet.

Diese Enge des Umkreises der naturalistischen Gruppe allein würde
aber bei weitem nicht zur Genüge erklären, wieso man so wenig von
einer Nasenkunst sprechen kann. Der Hauptgrund hierfür liegt viel-
mehr im Fehlen der Gefühlssymbole für die Nase. Wir haben
gesehen, daß wir imstande sind, alle Allgemeingefühle, die mit Reflex-
äußerungen irgendwie verknüpft sind, in Formen zu fassen, die dann
als Gefühlssymbole auf denselben Sinn wirken, dem die Reflexäuße-
rungen wahrnehmbar waren. Hier aber, bei der Nase, fehlt uns jede
Fähigkeit, aus einem Gefühle heraus entweder direkt Gerüche zu pro-
duzieren (wie mit den Stimmbändern Töne für das Ohr) oder Projek-
tionen von Gesten oder etwas Derartigem so zu fixieren, daß sie für
den Geruchssinn wirksam werden (wie Linien für das Auge). Es fehlt
uns also die Fähigkeit, etwa aus einem Sehnsuchtsgefühl heraus
willkürlich einen Geruch hervorzubringen, der sich diesem
Gefühle so innig gesellt, daß er in seinem spezifischen Gefühlsgehalt
für alle andern Menschen durch Einfühlung verständlich wird. —
Und der Grund dieses Fehlens von Gefühlssymbolen für die Nase ist
nach allem Vorhergehenden auch klär. Es fehlt dem Menschen die
Basis, auf der sich Geruchssymbole aufbauen könnten: irgendwelche
Geruchsreflexe. Was wir an Bewegungs- und Lautreflexen haben,
hat sich als der Boden erwiesen, von dem aus sich die Augen- und
Ohrsymbole ausbildeten. Wenn wir auf Gefühle hin reflektorisch Ge-
rüche von uns geben würden, würden diese die Basis für Gefühls-
symbole in der künstlichen Riech-Gefühls-Vermittlung abgeben können.
Wo aber die Reflexe fehlen, kann keinerlei Gefühlssymbol gebildet
werden.

Zu diesen beiden Tatsachen der Kleinheit des naturalistischen Kreises
der Nasen-Sinnesgefühle und des gänzlichen Fehlens der Gefühlssym-
 
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