KUNSTPSYCHOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN. 241
Bilde, d. h. man gebe sich völlig seiner Gefühlsbegleitung hin und
frage sich dann plötzlich nach Zeit, Land, Autor des Werkes, man
schlage im Katalog nach: und man fühlt sofort das Wegschwinden
der ästhetischen Stimmung, man »erwacht« aus der »Versunkenheit«,
aus dem »Rausche«, aus der »Entrücktheit«, und wie die Ausdrücke
sonst noch heißen mögen, die die Sprache für diesen denkens- und
willensfreien Zustand gebildet hat. Stets führt ein intellektuelles Ver-
halten erfahrungsgemäß aus dem Genüsse heraus, läßt zumindest den
Grad der »Verzückung« sofort sinken.
Man könnte hier einwenden, daß die Menschen, wenn dies in aller
Schärfe wahr wäre, längst jedes Erkunden und Analysieren vor natur-
oder kunstschönen Dingen gelassen hätten. Doch man trifft den Vor-
gang wohl eigentlicher, wenn man sich klar macht, daß all dieses
Erkunden und Analysieren eben wieder nur im Dienste einer Gefühls-
verstärkung steht. Wenn ich nämlich vorerst als Namen eines Ge-
birges oder Berges Einen erfrage, der schon an sich, als Name, aus
meiner Vergangenheit oder von meiner Erziehung her, eine starke Ge-
fühlsbegleitung besitzt, wenn ich etwa erfahre, daß das, was ich ge-
rade mit solcher Ergriffenheit sehe, der »Großglockner« ist, oder der
»Olymp«, oder »Italien«, so helfen mir einerseits oft bestimmte histo-
rische Kenntnisse, Einzelheiten oder Zusammenhänge besser zu be-
merken und dann aufzunehmen1); anderseits wird der Boden für das
Gefühlserlebnis gleichsam vorbereitet, aufgelockert, wenn ich etwa von
einem Musikstück erfahre, daß es von Beethoven ist, zu einem Ge-
dichte all das erinnere, was sich an den Namen »Goethe« knüpft,
bei einem Bilde, und sei es einem mittelmäßigen, den Namen Rem-
brandts als den des Künstlers aus dem Katalog ersehe. Und was
ferner die intellektuell-formale Analyse eines Kunstwerkes anlangt, so
ist zu bedenken, daß das Bemerken von Einzelheiten, das Zusammen-
fassen zu Komplexen, das Aufsuchen kompositioneller Hauptpunkte
und was es sonst noch an kunstanalytischen Gepflogenheiten geben
mag, sicher für den Augenblick und während der intellektuellen Hand-
lung das rein ästhetische Verhalten empfindlich beeinflußt, den Genuß
wie den Verdruß stört und durch die Störung mindert. Gibt man
sich aber nach der Analyse abermals dem Gefühlserlebnis hin, so
wird dieses vor guten Kunstwerken ein vertieftes und erweitertes sein
müssen. Denn während das Gefühlserlebnis beim ersten Erblicken oder
Hören oder Lesen des Kunstwerkes auf einem mehr oder minder noch
unklaren und in den Einzelheiten verschwommenen Auffassen des
>) Vgl. v. Aliesch, Über das Verhältnis der Ästhetik zur Psychologie. Zeitschr.
Psych. Bd. 54 (1910), S. 476 ff.
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. VII.
Bilde, d. h. man gebe sich völlig seiner Gefühlsbegleitung hin und
frage sich dann plötzlich nach Zeit, Land, Autor des Werkes, man
schlage im Katalog nach: und man fühlt sofort das Wegschwinden
der ästhetischen Stimmung, man »erwacht« aus der »Versunkenheit«,
aus dem »Rausche«, aus der »Entrücktheit«, und wie die Ausdrücke
sonst noch heißen mögen, die die Sprache für diesen denkens- und
willensfreien Zustand gebildet hat. Stets führt ein intellektuelles Ver-
halten erfahrungsgemäß aus dem Genüsse heraus, läßt zumindest den
Grad der »Verzückung« sofort sinken.
Man könnte hier einwenden, daß die Menschen, wenn dies in aller
Schärfe wahr wäre, längst jedes Erkunden und Analysieren vor natur-
oder kunstschönen Dingen gelassen hätten. Doch man trifft den Vor-
gang wohl eigentlicher, wenn man sich klar macht, daß all dieses
Erkunden und Analysieren eben wieder nur im Dienste einer Gefühls-
verstärkung steht. Wenn ich nämlich vorerst als Namen eines Ge-
birges oder Berges Einen erfrage, der schon an sich, als Name, aus
meiner Vergangenheit oder von meiner Erziehung her, eine starke Ge-
fühlsbegleitung besitzt, wenn ich etwa erfahre, daß das, was ich ge-
rade mit solcher Ergriffenheit sehe, der »Großglockner« ist, oder der
»Olymp«, oder »Italien«, so helfen mir einerseits oft bestimmte histo-
rische Kenntnisse, Einzelheiten oder Zusammenhänge besser zu be-
merken und dann aufzunehmen1); anderseits wird der Boden für das
Gefühlserlebnis gleichsam vorbereitet, aufgelockert, wenn ich etwa von
einem Musikstück erfahre, daß es von Beethoven ist, zu einem Ge-
dichte all das erinnere, was sich an den Namen »Goethe« knüpft,
bei einem Bilde, und sei es einem mittelmäßigen, den Namen Rem-
brandts als den des Künstlers aus dem Katalog ersehe. Und was
ferner die intellektuell-formale Analyse eines Kunstwerkes anlangt, so
ist zu bedenken, daß das Bemerken von Einzelheiten, das Zusammen-
fassen zu Komplexen, das Aufsuchen kompositioneller Hauptpunkte
und was es sonst noch an kunstanalytischen Gepflogenheiten geben
mag, sicher für den Augenblick und während der intellektuellen Hand-
lung das rein ästhetische Verhalten empfindlich beeinflußt, den Genuß
wie den Verdruß stört und durch die Störung mindert. Gibt man
sich aber nach der Analyse abermals dem Gefühlserlebnis hin, so
wird dieses vor guten Kunstwerken ein vertieftes und erweitertes sein
müssen. Denn während das Gefühlserlebnis beim ersten Erblicken oder
Hören oder Lesen des Kunstwerkes auf einem mehr oder minder noch
unklaren und in den Einzelheiten verschwommenen Auffassen des
>) Vgl. v. Aliesch, Über das Verhältnis der Ästhetik zur Psychologie. Zeitschr.
Psych. Bd. 54 (1910), S. 476 ff.
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. VII.