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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Utitz, Emil: Zur Lehre von der Einheit in der Mannigfaltgkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0307
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Bemerkungen.

Zur Lehre von der Einheit in der Mannigfaltigkeit.

Von

Emil Utitz.

Das Gesetz von der Einheit in der Mannigfaltigkeit — oder wie es sonst auch
immer ausgesprochen werden mag — gehört seit den Zeiten der Antike zum eisernen
Bestand der Ästhetik. Die Tatsache, daß in jedem ästhetischen Gebilde eine Viel-
heit zur Einheit sich runde, wird auch allgemein zugestanden und ist ernstlich nie-
mals bestritten worden. Die Wege scheiden sich jedoch einerseits, wo es sich um
die Begründung des Gesetzes handelt, anderseits, wo die Tragweite dieser Einsicht
in Frage kommt. In letzter Zeit hat Theodor Lipps eine Ableitung dieses Gesetzes
aus der »Natur der Seele« heraus versucht: aber meines Erachtens bedarf es gar
nicht des hohen Fluges kühner und dunkler Spekulationen; sondern der empirische
Unterbau des Gesetzes erschließt sich aus so einfachen und allbekannten Über-
legungen, daß ich mich mit wenigen Andeutungen begnügen will, um nicht den
Leser durch breit vorgetragene Selbstverständlichkeiten zu ermüden.

Unbestritten ist die Tatsache der Bewußtseinsenge. Es gibt ja da individuelle,
durch Anlage und Schulung bedingte Schwankungen, aber endlich kommt doch
eine Schranke, über die niemand heraus kann. Nun wird im ästhetischen Verhalten
ein hingebungsvolles, gefühlsmäßiges Aufnehmen der dargebotenen Eindrücke ge-
fordert. Würden diese Eindrücke in keiner Weise zusammenhängen, jeder vielleicht
in eine andere Richtung weisen, ganz verschieden hindrängen, so wären wir außer
stände sie einheitlich zusammenzufassen und so zu genießen. Wir wären gleich-
sam in der unerquicklichen Lage, zwei oder mehrere ästhetische Gebilde gleich-
zeitig verarbeiten zu sollen, von denen jedes die Aufmerksamkeit für sich bean-
spruchen würde, so daß ein gegenseitiges Verdrängen, Hemmen und Hervortreten
stattfände, das nur Unlust zeitigen könnte und in keiner Weise die beschaulich
hingebungsvolle Stimmung, die zum ästhetischen Erleben erforderlich ist. Wir ver-
mögen demnach die uns entgegentretenden Eindrücke nur dann ästhetisch zu ge-
nießen, wenn sie sich vereinheitlichen lassen, wenn sie in einer Richtung fluten,
wenn sie der gleichen Bewußtseinseinstellung sich erschließen. Die stärkste Ein-
heit wäre allerdings bei Einfachheit gewonnen; aber damit wären eine Ärmlichkeit,
Kümmerlichkeit, Öde und Langweile gegeben, die wahrlich keinen Genuß auf-
kommen ließen, denn Einfachheit — im strengen Sinne des Wortes — würde ja
nichts anderes bedeuten als einen einzelnen Ton oder eine einzelne Farbe. So ist
denn »Einheit in der Mannigfaltigkeit« als unerläßliche Bedingung jedes ästhetischen
Genießens zu fordern. Hier greift nun aber eine weitere Frage ein: handelt es
sich hier nur um eine Bedingung des ästhetischen Genießens, oder selbst um einen
Inhalt des ästhetischen Genießens? Und diese Unterscheidung wurde meistens
leider völlig übersehen.

Wenn ich etwa die zarte, keusche, spröde Stimmung einer Frühlingslandschaft
 
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