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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Moog, Willy: Die homerischen Gleichnisse, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0358
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354 WILLY MOOG.

Wirkung. Je nachdem es entstanden und vom Dichter bewußt oder
unbewußt beabsichtigt ist, regt es in dem Genießenden besondere
Gebiete des seelischen Miterlebens an. Wenn man es mehr objektiv
danach betrachtet, welche Stelle es im technischen Aufbau des Werkes
einnimmt, wird es häufig als dekorativer Schmuck erscheinen. Nur
darf man den Schmuck nicht als etwas schlechthin Überflüssiges an-
sehen, sondern muß seine psychologische Notwendigkeit begreifen.
Wenn die gefühlsmäßige Beziehung zurücktritt, wird das Gleichnis
auch manchmal zur bloßen Paraphrase eines bestimmten Gedankens,
zur erweiterten Charakterisierung einer Eigenschaft usw. Besonders
die Gleichnisse der Ilias hat man als Ruhepunkte der Handlung be-
zeichnet; das trifft in manchen Fällen zu, anderseits aber können die
Gleichnisse ebensowohl zur Belebung der fortschreitenden Handlung
oder einer zuständlichen Schilderung dienen. Bei den Kampfszenen
der Ilias geben die Gleichnisse doch immer wieder neue Kampfszenen
(nur aus anderer Sphäre), sie erregen also die Spannung noch mehr.
Die Gleichnisse haben eine Bedeutung in der Komposition des Ganzen:
das zeigt sich schon darin, daß Stücke, die höchst wahrscheinlich von
demselben Dichter stammen, doch mit Gleichnissen in ganz verschie-
dener Anzahl ausgestattet sind. In der Ilias werden Höhepunkte der
äußeren Handlung mehrfach durch einen Reichtum an Gleichnissen
ausgezeichnet. Das Gleichnis kann dabei die Spannung lösen oder
sie auch neu erregen, es kann hervorheben und die Kraft der Hand-
lung und Stimmung andeuten oder eine gewisse Milderung und Auf-
hellung bewirken, es bietet eine Abwechslung, schafft aber subjektive
Einheit und Verknüpfung. Das erste Buch der Ilias, das Proömium,
hat bezeichnenderweise keine Gleichnisse: hier braucht der Dichter
diese Kunstmittel noch nicht, um auf seine Hörer oder Leser zu
wirken. Bei Eingängen zu bedeutsamen Szenen aber, wo der Dichter
eine besondere Stimmung schaffen will und mit der Gestaltung ringt,
sind Gleichnisse offenbar beliebt. In Reden kommen Gleichnisse zwar
vor, mitunter sogar recht ausgedehnte, aber sie sind dort nicht so
nötig und darum auch nicht häufig, denn die Reden sind schon für
sich ausdrucksvoll genug, sie sind selbst Stimmungsfaktoren und
wollen selten Handlung schildern.

Nur wenn man sich bewußt ist, daß die Gleichnisse als Produkte
des dichterischen Geistes nicht logisch nachzurechnen, sondern psy-
chologisch zu verstehen sind, kann man ihr Wesen und ihren Zweck
richtig beurteilen. Das Gleichnis ist keine primitive oder naive Form,
viel eher kann man das von der Metapher oder auch dem kurzen
Vergleich behaupten. Die Scheidung zwischen bildlicher und unbild-
licher Redeweise ist nicht ursprünglich, sondern erst durch die ge-
 
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