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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Baumgarten, Franz F.: Die Lyrik Conrad Ferdinand Meyers
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0389
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DIE LYRIK CONRAD FERDINAND MEYERS. 385

Buch: Die Seele und die Formen] hat als Erster auf den Formunter-
schied der Erlebnislyrik und der modernen symbolischen Lyrik hin-
gewiesen.)

Meyer wollte das Gefühl, das unausgesprochen bleiben sollte, unter
dem Eindruck eines sinnlichen Bildes entstehen lassen, das er dem
Leser vor die Augen stellt.

»Es gibt eine beschreibende Gefühlspoesie, welche die Gemüts-
zustände durch gegenseitige Vergleichung derselben oder durch von
außen her genommene Bilder darzustellen strebt. Je höher sie steht,
um so mehr werden Bild und Gegenstand, die völlig identisch sein
können, zusammenfallen« (Hebbel, Tagebücher I, 1476).

So verstand Meyer die Gestalt in der Lyrik: das Gefühl sollte
Gestalt werden. Er schuf Symbole der Gefühle, statt die Gefühle zu
beschreiben, er geht in Deutschland als einer der ersten den Weg
der symbolistischen Lyrik, nach welcher Richtung schon der alte
Goethe und Hebbel hingewiesen hatten.

Besonders klar und stark tritt die Form dieser Lyrik in den Ge-
richten Meyers hervor, die die Beschreibung eines Kunstwerkes sind.
Hier besteht das ganze Gedicht aus einem Bild und das Gefühl ist
nur mittelbar ausgedrückt, entsteht unter dem Eindruck des Bildes.
Gegen Gedichte, die Beschreibungen von Kunstwerken sind, werden
alle Einwendungen, die sich gegen die Reflexionslyrik richten, noch
ln besonders scharfer Form geltend gemacht. Beschreibung von
Werken der bildenden Kunst soll keine Lyrik, ja überhaupt keine
Poesie sein.

Keats hat in seiner wundervollen »Ode oti a Qretian um«, die
selbst die Beschreibung eines Werkes der Plastik ist, das Wesen
solcher Gedichte mit dem intuitiv-tiefen Kunstverständnis des Künstlers
erkannt und in der prägnant-sinnlichen Form des Dichters ausgedrückt.
Es genügt eigentlich, gegen jene Einwendungen auf dieses Gedicht
zu verweisen. Keats' Beispiel zeigt, daß gerade das Leis-Andeutende
der Zauber dieser Gedichte, die mittelbare Andeutung der wirklich
richtige Ausdruck d. h. der Ausdruck des Rhythmus dieser Gefühle ist.
»Heard melodies are sweet, but those unheard are sweeter.« Und weiter
hat er gezeigt, daß die brennendste Sehnsucht sich verschämt hinter
die Marmorkälte von Statuen verbirgt und ihre ewige Schönheit und
unwelkbare Fülle, die aus der Unerfüllbarkeit ihres Wunsches hervor-
blüht, in der Liebe zu Marmorbildern genießt.

Bold Lover, never never canst thou kiss,
Though winning near the goal — yet do not grieve;
She cannot fade, though thou hast not thy bliss,
For ever wilt thou love, and she be fair!

Zeitschr. f. Ästhetik u. alle. Kunstwissenschaft. VII. 25
 
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