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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Mies, Paul: Über die Tonmalerei, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0405
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_ ÜBER DIE TONMALEREI. 401

Flügel des Schmetterlings einmal hoch, kurz darauf wieder tief liegen,
so schnell, daß nur die Orenzlagen fixierbar sind, wie der Schmetter-
ling selbst einmal höher, dann tiefer schwebt, so gibt die Übertragung
der Begriffe hoch und tief auf die Tonfolgen die musikalische Dar-
stellung des Flatternsx). Ein wie geringes Element dies von der ganzen
Vorstellung des fliegenden Schmetterlings ist, sieht man daraus, daß
es bei fehlender Überschrift kaum möglich wäre, die Vorstellung des
Komponisten, falls er überhaupt bei Abfassung des Stückes eine hatte2),
zu erraten, und daß die Überschrift, falls sie nachträglich verfaßt wird,
nur auf Grund willkürlicher und zufälliger Ideenverbindung zustande
gekommen ist8). Daß in dem besprochenen Falle die Musik dar-
stellend oder malend verwendet worden ist, steht außer Zweifel. Hier
tritt uns wiederum die Erkenntnis entgegen, welche Bedeutung dabei
das zur Musik hinzutretende Wort hat.

Wie in diesen Fällen ganze, wenn auch kleine Musikstücke uns
infolge gewisser Analogien dazu bewogen, sie mit Vorstellungen in
Verbindung zu bringen, als deren musikalische Bilder wir sie dann
betrachten, ebenso können uns einzelne musikalische Phrasen und
Motive zu derartigen Übertragungen veranlassen. Als Beispiel führen
wir an das erste Motiv aus der C-moll-Symphonie von Beethoven

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dessen Bedeutung man häufig in die Worte kleidet: So klopft das
Schicksal an die Pforten4). Beethoven selbst soll zu dem Thema im
Walde durch einen Vogelruf angeregt worden sein5). Im ersten Falle
■st eine rhythmische, im zweiten auch eine klangliche Analogie Grund
und Ausgang des erwähnten Zusammenhangs zwischen Musik und
Vorgang.

Das Dasein von Motiven, die zweifellos zur Darstellung von Vor-
stellungen, wenn auch mehrerer, dienen, könnte uns ermutigen, eine
beliebige musikalische Phrase daraufhin zu untersuchen, ob sie mit
Vorstellungen Analogien bietet. Da diese Analogie sehr verschiedener
Natur sein kann (rhythmisch, klanglich usw.), zeigt sich, daß sich zu
einem beliebigen Motiv eine Fülle von Vorstellungen einfinden würden,
Ja eine unendliche Reihe von Vorstellungen zur Auswahl bereit stünde,
die alle Anlaß zu einer gleich genauen Analogie mit dem Motiv gäben,
wenn auch nach verschiedenen Gesichtspunkten. Abgesehen von der

) Siehe besonders das Stückchen von Couperin.
s) R. Schumann, Ges. Schriften I, S. 84 oder Kl. Pr. M. S. 101.
*) Kl. Pr. M. S. 182, Anm. über R. Schumann.

4) Ob dieser Ausspruch von Beethoven selbst herrührt, ist zweifelhaft.
6) Thayer. Beethoven Bd. II, Anhang I, S. 361.

Zeitsc.hr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. VH. 26
 
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