BESPRECHUNGEN. 507
und mildert. Denn wenn man sich auch von der Einseitigkeit der Veronschen
Ästhetik freihält, für welche der Kunstgenuß lediglich im Bewunderungsgefühl be-
steht, ja, wenn man es sogar gewagt findet, die Bewunderung zu den allgemeinen
Ingredienzien der ästhetischen Lust zu rechnen, wie es Verons Landsmann Lalo in
jüngster Zeit getan hat, man müßte denn die »admiration« im Gegensätze zu Lalos
Begriffsbestimmung mit dem kontemplativen Lustgefühl selber ineinssetzen, so kann
man doch nicht leugnen, daß im Genüsse von Kunstwerken dieses Moment, und
zwar der eigentliche typische Affekt, nicht etwa bloß die halb tropisch so genannte
»Bewunderung des Schönen«, eine bedeutsame Rolle spielt und speziell als Bewunde-
rung der Genialität des Künstlers zum Gesamteindruck der Werke oft nicht wenig
beiträgt. Man darf insbesondere vermuten, daß Derartiges stattfindet, wenn der Be-
urteiler die Genialität ausdrücklich unter den Vorzügen des Werkes nennt, und man
begreift, daß diese gewissermaßen selbständige, der endgültigen Schätzung voran-
gehende und sie mitbestimmende Würdigung der Genialität des Künstlers bei
Poesieerzeugnissen viel häufiger vorkommt als bei Produkten der Plastik und
«er Malerei. So erkennen wir in der Tat zwei Möglichkeiten der Verbindung
zwischen objektivem und Werturteil. In der ersten Form hat das die Genialität
festsetzende Tatsachenurteil kunstästhetische Werturteile zur Voraussetzung und
wird es von diesen getragen; in der zweiten geht jenes objektive oder Tatsachen-
urteil in das Werturteil ein und fungiert es als Faktor oder Element des letzteren.
Allem diese völlig durchsichtigen Zusammenhänge machen es ihrerseits auch wieder
klar, weshalb Übereinstimmung aller Personen in einer Kunstschätzung, die be-
gleitet ist vom Erkennen der Genialität des Künstlers, geschehe die Begleitung nun
auf die eine oder andere Weise, niemals erhofft werden kann. So verschieden die
Vorzüge des Werkes bei rein gegenständlicher, von keinerlei Reflexionen über den
Geist seines Schöpfers durchflochtener Aufnahme auf die einzelnen Menschen wirken,
diese entzückend, für jene kaum sich fühlbar machend, in ebenso ungleichem Maße
wird die bewußte Wahrnehmung der genialen Geisteskräfte Gefühlsschwingungen aus-
lösen. Manche empfinden den ungewöhnlich starken Trieb zum Verlassen der alten
Kunstweisen und zur Eroberung neuer Stoffe an und für sich schon als Gestörtheit,
mit welcher sie selbst durch die virtuoseste Technik kaum ausgesöhnt werden;
manche verzeihen umgekehrt der Originalität zuliebe große technische Schwächen,
ja nehmen zweifellosen Dilettantismus mit in Kauf, wenn er mit der Scheu vor
ausgefahrenen Geleisen und der Gabe, Neues zubringen, gepaart ist. »Großartig!«
sagt der eine, »Reif fürs Narrenhaus!« der andere. Wie soll da eine objektive
Kritik im Sinne Alts zustande kommen?!
Ein ganz ähnliches Ergebnis aber würde man bei Prüfung der übrigen Quali-
täten erlangen, die solch reflektierte1, den Umweg über den Künstler nehmende
Charakteristik den Kunsthervorbringungen beilegt, und höchstens darin würde sich
ein Unterschied zeigen, daß bei gewissen Eigenschaften, wie der »Reife«, die zweite
der hier erörterten Verknüpfungsweisen zwischen Tatsachen- und Werturteil zumeist
fehlt, indem die Vollendung des künstlerischen Vermögens eben auf Grund der
Vollkommenheit des Produktes angenommen wird. Diesfalls hat also, obwohl schon
in dem Begriffe der fraglichen Eigenschaft selbst die Beziehung auf den Künstler
mehr oder weniger bestimmt enthalten ist — kann doch nur in dem Künstlergeiste
der »Reifungsprozeß« vor sich gehen! —, die ästhetische Totalschätzung offenbar die
Priorität und leiten daher solche Bestimmungen zu den direkten, ans Kunstgebilde
allein sich haltenden, jede Berücksichtigung der Individualität seines Schöpfers unter-
lassenden Urteilen hinüber. Man könnte speziell in dem gewählten Beispiel auch
von einer doppelten Reflexion sprechen: eine Beschaffenheit des Kunsterzeugnisses
und mildert. Denn wenn man sich auch von der Einseitigkeit der Veronschen
Ästhetik freihält, für welche der Kunstgenuß lediglich im Bewunderungsgefühl be-
steht, ja, wenn man es sogar gewagt findet, die Bewunderung zu den allgemeinen
Ingredienzien der ästhetischen Lust zu rechnen, wie es Verons Landsmann Lalo in
jüngster Zeit getan hat, man müßte denn die »admiration« im Gegensätze zu Lalos
Begriffsbestimmung mit dem kontemplativen Lustgefühl selber ineinssetzen, so kann
man doch nicht leugnen, daß im Genüsse von Kunstwerken dieses Moment, und
zwar der eigentliche typische Affekt, nicht etwa bloß die halb tropisch so genannte
»Bewunderung des Schönen«, eine bedeutsame Rolle spielt und speziell als Bewunde-
rung der Genialität des Künstlers zum Gesamteindruck der Werke oft nicht wenig
beiträgt. Man darf insbesondere vermuten, daß Derartiges stattfindet, wenn der Be-
urteiler die Genialität ausdrücklich unter den Vorzügen des Werkes nennt, und man
begreift, daß diese gewissermaßen selbständige, der endgültigen Schätzung voran-
gehende und sie mitbestimmende Würdigung der Genialität des Künstlers bei
Poesieerzeugnissen viel häufiger vorkommt als bei Produkten der Plastik und
«er Malerei. So erkennen wir in der Tat zwei Möglichkeiten der Verbindung
zwischen objektivem und Werturteil. In der ersten Form hat das die Genialität
festsetzende Tatsachenurteil kunstästhetische Werturteile zur Voraussetzung und
wird es von diesen getragen; in der zweiten geht jenes objektive oder Tatsachen-
urteil in das Werturteil ein und fungiert es als Faktor oder Element des letzteren.
Allem diese völlig durchsichtigen Zusammenhänge machen es ihrerseits auch wieder
klar, weshalb Übereinstimmung aller Personen in einer Kunstschätzung, die be-
gleitet ist vom Erkennen der Genialität des Künstlers, geschehe die Begleitung nun
auf die eine oder andere Weise, niemals erhofft werden kann. So verschieden die
Vorzüge des Werkes bei rein gegenständlicher, von keinerlei Reflexionen über den
Geist seines Schöpfers durchflochtener Aufnahme auf die einzelnen Menschen wirken,
diese entzückend, für jene kaum sich fühlbar machend, in ebenso ungleichem Maße
wird die bewußte Wahrnehmung der genialen Geisteskräfte Gefühlsschwingungen aus-
lösen. Manche empfinden den ungewöhnlich starken Trieb zum Verlassen der alten
Kunstweisen und zur Eroberung neuer Stoffe an und für sich schon als Gestörtheit,
mit welcher sie selbst durch die virtuoseste Technik kaum ausgesöhnt werden;
manche verzeihen umgekehrt der Originalität zuliebe große technische Schwächen,
ja nehmen zweifellosen Dilettantismus mit in Kauf, wenn er mit der Scheu vor
ausgefahrenen Geleisen und der Gabe, Neues zubringen, gepaart ist. »Großartig!«
sagt der eine, »Reif fürs Narrenhaus!« der andere. Wie soll da eine objektive
Kritik im Sinne Alts zustande kommen?!
Ein ganz ähnliches Ergebnis aber würde man bei Prüfung der übrigen Quali-
täten erlangen, die solch reflektierte1, den Umweg über den Künstler nehmende
Charakteristik den Kunsthervorbringungen beilegt, und höchstens darin würde sich
ein Unterschied zeigen, daß bei gewissen Eigenschaften, wie der »Reife«, die zweite
der hier erörterten Verknüpfungsweisen zwischen Tatsachen- und Werturteil zumeist
fehlt, indem die Vollendung des künstlerischen Vermögens eben auf Grund der
Vollkommenheit des Produktes angenommen wird. Diesfalls hat also, obwohl schon
in dem Begriffe der fraglichen Eigenschaft selbst die Beziehung auf den Künstler
mehr oder weniger bestimmt enthalten ist — kann doch nur in dem Künstlergeiste
der »Reifungsprozeß« vor sich gehen! —, die ästhetische Totalschätzung offenbar die
Priorität und leiten daher solche Bestimmungen zu den direkten, ans Kunstgebilde
allein sich haltenden, jede Berücksichtigung der Individualität seines Schöpfers unter-
lassenden Urteilen hinüber. Man könnte speziell in dem gewählten Beispiel auch
von einer doppelten Reflexion sprechen: eine Beschaffenheit des Kunsterzeugnisses