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noch anderer Faktoren, die an sich als außerästhetische zu betrachten
sind, die aber notwendige Hilfsmächte in dem Sinne abgeben, einerseits
daß von ihnen wesentliche ästhetische Förderungen und Hemmungen
ausgehen, anderseits daß sie dem Erleben, abgesehen von seiner ästhe-
tischen Bedeutung, noch bestimmte Sonderwerte verleihen? oder anders
ausgedrückt: genügt zur Charakteristik des kunstgenießenden Ver-
haltens bereits der Hinweis auf das ästhetische Erleben, oder werden
hierbei wichtige Faktoren übersehen?
In der Absicht, einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen,
möchte ich gleich darauf aufmerksam machen, daß ich nicht auf Fak-
toren hinziele, die ganz zufällig und individuell in irgendeinem Be-
trachter eines Kunstwerkes auftreten können, wie wenn sich etwa
einer (um nur das bekannteste Beispiel anzuführen) angesichts eines
venetianischen Bildchens an seine Hochzeitsreise erinnert. Über die
Grenzen der Berechtigung dieser Faktoren zu handeln (Max Dessoir
hat in seiner »Ästhetik und allgemeinen Kunstwissenschaft« S. l°2f.
meiner Meinung nach den richtigen Standpunkt gefunden), ist zwar
ein sehr anregendes, aber nicht unmittelbar hierher gehöriges Problem.
Unsere Frage lautet: sind nicht für eine angemessene Auffassung eines
Kunstwerkes, für ein Verhalten, das alle im Kunstgebilde gesetzten
Wirkungsbedingungen völlig erfüllt, gewisse außerästhetische Faktoren
gefordert und notwendig? Für einige Kunstgebiete wird innerhalb
gewisser Grenzen wohl jeder schon nach flüchtiger Besinnung diese
Frage bejahen, und umso kräftiger bejahen, je inniger sich ihm bei
gründlicherem Nachdenken diese Überzeugung verdichtet. Denn es
kann doch keinem Zweifel unterliegen, daß Denkmalkunst, Tendenz-
kunst, religiöse Kunst usw. in letzter Hinsicht auf etwas anderes zielen
als auf rein ästhetisches Ergriffensein. Hier fallen also sicherlich
Kunstgenuß und ästhetisches Verhalten nicht zusammen. Wir ver-
mögen auch »rein ästhetisch« jenen Werken uns zu nähern, aber wir
erschöpfen mit dieser Einstellung niemals alle ihre Absichten. Aller-
dings bewegen wir uns mit diesen Betrachtungen an den Grenzen
der Künste; aber sind denn diese Gebiete irgendwie scharf geschieden
von den Gefilden »reiner Kunst«? oder handelt es sich nicht meist
nur um ein mehr oder minder, um fließende, gleitende, allmähliche
Übergänge? Diese Frage läßt sich nicht so leicht entscheiden, und
die Antwort wird uns umso schwerer, weil wir alle — mehr oder
minder bewußt — unter dem Banne der Hart pour /'«/-/-Bewegung
stehen, die jede Versetzung des Ästhetischen mit außerästhetischen
Faktoren als eine Entweihung brandmarkt und als Barbarei verhöhnt.
Hier gilt es nun vor allem die nötige Unbefangenheit zu gewinnen
und nicht blind die Voraussetzungen moderner Kunstanschauungen