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Bedeutung ist, und sie jedenfalls nicht vernachlässigt oder ganz über-
sehen werden dürfen. In der neuesten Forschung macht sich nun
hie und da das Bestreben geltend, von einer inhaltlichen Charakteristik
des Ästhetischen ganz Abstand zu nehmen, d. h. davon abzusehen,
bestimmte spezifisch ästhetische Erlebnisakte namhaft zu machen;
sondern man versucht das Ästhetische lediglich durch Hinweis auf
eine gewisse Bewußtseinshaltung zu bestimmen. Die Einzelelemente
wären dann alle an sich außerästhetisch, aber die durch die betreffende
Bewußtseinshaltung gegebene Anordnung und Inbeziehungsetzung
würden den ästhetischen Zustand bedingen. Das scheint auf den
ersten Blick die radikalste und einfachste Lösung des Problems der
außerästhetischen Faktoren; denn an sich wären sie alle außerästhe-
tisch und erst durch die Eigenart ihres Zusammenwirkens ästhetischer
Wirkungen fähig. Wenn auch in dieser scharfen Prägung diese An-
sicht wohl selten aufgetaucht ist, so bedeutet sie doch selbst in dieser
weitgehenden Entwicklung ihrer Grundlagen und Voraussetzungen
lediglich eine völlig mißverständliche Verschiebung der ursprünglichen
Fragestellung. Denn die Frage bleibt ja bestehen, ob den Kunstgenuß
diese ästhetische Bewußtseinshaltung erschöpft? und diese eine Frage
gliedert sich sogleich in einige andere, wenn wir ihr ein wenig näher
treten.
Unter der ästhetischen Bewußtseinshaltung kann doch nichts anderes
verstanden werden als die durch eine bestimmte Einstellung geschaffene
Erlebensweise; aber vielleicht wird sie selbst erst von Faktoren ge-
tragen, die nicht unmittelbar in sie selbst eingehen, Vorbedingungen ab-
geben, sie umspielen und umkleiden, sie mannigfach verändern, durch-
setzen. Ich für meinen Teil würde — in Hinblick auf die von uns
angeführten Beispiele — von einer ästhetischen Bewußtseinshaltung
sprechen, in die sich außerästhetische Faktoren einfügen, ohne sie
jedoch zu zerreißen oder zu sprengen. Im Gegenteil, all diese Fak-
toren dienen dazu, uns die Erscheinung immer ausgeprägter, mit
Leben erfüllter zu gestalten. Aber dies gilt nur innerhalb gewisser
Grenzen! Wenn z. B. unser theoretisches Interesse am Milieu über-
wiegt, unser ethisches Mitfühlen oder unser moralischer Abscheu an-
steigen, dann drängen sich diese außerästhetischen Faktoren vor und
durchbrechen den harmonisch geeinten Zusammenhang; sie werden
aus dienenden Mitteln zu Herrschern und verschieben die gesamte
Bewußtseinshaltung. Hier ergeben sich dann die allmählichen, kaum
merklichen Übergänge, die von einem ästhetischen Erleben zu einem
ganz außerästhetischen in stetiger Abwandlung leiten. Das »Was«,
das ich unter ästhetischer Einstellung erlebe, das ich gefühlsmäßig er-
fasse, dem gegenüber ich mich anschauend, betrachtend verhalte, kann