Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

DOI Artikel:
Görland, Albert: Die dramatischen Stilgegensätze bei Grillparzer und Hebbel
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0310
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BEMERKUNGEN. 305

Wenn Hebbel nach einer dramatischen Form für das Verhältnis des Individuums
zum Staat sucht, so steht ihm erstens dabei nicht ein bestimmt geartetes Individuum
vor Augen, sondern schlechtweg der Einzelne mit den Ansprüchen seiner allgemeinen
Menschenrechte gegenüber dem Staat allgemein, das heißt: gegenüber dem, der die
Staatsautorität repräsentiert. Und zweitens erscheint ihm die tiefe Frage nach
diesem Verhältnis nicht aus dem kühlen Interesse des geschichtsphilosophischen
Forschers, sondern aus dem fiebrigen Interesse des politischen Menschen an den
flammenden Ideen seiner Gegenwart. Damit ergibt sich als Triebkraft der drama-
tischen Handlung bei Hebbel der Verhältniskampf zwischen den ideellen Kräften
der Unantastbarkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte einerseits, der un-
verletzlichen Hoheit der Staatsautorität andererseits, ein Kampf der Ideen, wie er
in den Geistern Hebbelscher Zeit tobt.

Für diesen Kampf zwischen zwei Ideen um Anerkennung ihrer Wahrheiten
durch einander erschaut nun der dramatische Genius Menschen, in denen dieser
Kampf lebendig, gegenständlich, willenswirklich werde. Das ist dieses Genius ur-
eigentümliche Aufgabe. So werden dann die Menschen Hebbelscher Dramatik die
monumentalen Werkzeuge, in denen sich ein Kampf der Weltanschauungen aus-
leben will. Die Problematik der Fabel ist also ursprünglich nicht die der Individuen,
sie sind nicht der Selbstzweck, und die Fabel das Mittel für diesen. Vielmehr sind
die Individuen die Lebenswirklichkeiten, geschaffen, damit ideelle Kräfte in ihnen
ihre Kämpfer, ihre Werkzeuge finden. Wie der Prophet sich als Werkzeug Gottes
empfindet und dadurch zur Größe seiner Gestalt emporwächst, ganz so empfindet
Mariamne sich als Werkzeug der erhabenen Idee der Menschenwürde, ebenso wie
Soemus; aber andererseits erkennt sie auch in Herodes die unverletzliche Hoheit
der Staatsautorität, wenn sie Mutter und Bruder preisgibt und dessen gewaltsamen
Tod verzeiht. So ist es bei Judith, so bei den anderen großen dramatischen Aus-
einandersetzungen über die Grundfragen des politischen Lebens. Die Kampfstellung
der Mariamne gegen Herodes ist letzten Endes eine gleiche, wie die des Soemus,
— und doch auch eine verschiedene. Denn jene Weite der ideellen Gegensätze
läßt sich nicht in das enge Verhältnis nur eines Menschenpaares zusammensperren.
So bedeutet der Gegensatz Herodes-Mariamne nur ein einzelnes Motiv in jenem
ideellen Gegensatz, wie Herodes-Soemus ein anderes, ein anderes Herodes-Joseph,
ein anderes Herodes-Aristobulus. Haben diese Menschen nur solche Motiv-
bedeutung innerhalb der Weite eines und desselben ideellen Gegensatzes, so ist
ihre Individualität nur soweit von künstlerischem Belang, soweit sie dies Motiv
darstellen.

Darum schwebt denn über allen Personen Hebbelscher Dramatik eine gewisse
Unklarheit ihrer Individualität, wie das Licht eines Rembrandtschen Gemäldes aus
originaler, übergeordneter Kraft die einzelnen Gestalten zum Teil ins Helle taucht,
zum Teil im Dunkeln läßt.

Ganz anders bei Grillparzer. Während bei Hebbel ein unpersönliches ideelles
Verhältnis Gestalt gewinnt in Menschen, in denen Gegensatzideen handlungswirk-
lich, willenskampfkräftig werden, ergibt sich bei Grillparzer die Handlung erst aus
Einzelmenschen durch ihre, in ihnen restlos angelegte seelische Beschaffenheit;
welche Handlung so wird, wie sie wird, weil gerade diese, so und nicht anders in
sich bestimmte Menschen zusammentreten. Die dramatische Handlung hat also
keine übergeordnete Kraft, die sich die Menschen als Werkzeuge erschaffte; sondern
die Handlung ist die Wirkung der Einzelmenschen. Soll also das Drama von einer
innerlich gebundenen Wahrheit, von einer überzeugenden Wirklichkeit zusammen-
gehalten werden, so müssen die handelnden Menschen klar, psychologisch exakt,

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XIII. 20
 
Annotationen