Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

DOI article:
Besprechungen
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0337
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
332 BESPRECHUNGEN.

zu den empirischen Betrachtungen und mathematischen Berechnungen bildeten die
Einträge über männliche und weibliche Geburten der Standesamtsregister der Städte
Würzburg, Fürth, Augsburg und Freiburg i. B. seit 1876.

2. In der kurzen Broschüre »Mathematische Bemerkungen« bringt Marbe sehr
wichtige Mitteilungen zur Begründung seiner »Lehre vom statistischen Ausgleich«,
deren Einzelheiten jedoch für die Leser der vorliegenden Zeitschrift weniger Inter-
esse besitzen.

Würzburg. Johann Dauber.

Karl Scheffler, Der Geist der Gotik. Leipzig 1917, Inselverlag gr. 8°,
112 S. und 107 Abbildungen.

Wer in Schefflers »Geist der Gotik« eine Vertiefung in die Eigentümlichkeiten und
Besonderheiten gotischer Kunst im Sinne von Worringers »Formproblemen der Gotik«
zu finden hofft, sieht sich enttäuscht. Nicht die historisch begrenzte Zeit der Gotik
bildet den Gegenstand des Schefflerschen Werkes, sondern ein kunsttheoretischer
Gedanke, der in seiner Abzweckung und Bedeutung ganz aus dem Rahmen des
eigentlich Gotischen heraustritt. Das Gotische in dem hier gemeinten Sinne ist
etwas ganz anderes, als was wir sonst unter Gotik verstehen; es ist das eine der
beiden Elemente, die, nach Schefflers Anschauung, alle Kunstübung beherrschen.
Denn das Kunstschaffen aller Zeiten und Völker geht nach Scheffler auf zwei grund-
legende, im Prinzip völlig voneinander verschiedene Elemente zurück. Scheffler
nennt sie: das Griechische und das Gotische, indem er die Namen von den Stil-
formen entlehnt, in denen die von ihm entdeckten Grundrichtungen aller Kunst (er
schließt anmerkungsweise auch Poesie und Musik in seine Entdeckung ein, wobei
er freilich von Walzels Untersuchungen über die wechselseitige Erhellung der
Künste noch keinen Gebrauch machen konnte) in klassischer Weise zum Ausdruck
kommen.

Diese Ausweitung historisch fundierter Begriffe erscheint mir, zumal in der
schrankenlosen Ausdehnung, zu der sie sich in dem Schefflerschen Buch über-
steigert, außerordentlich gewagt; sie muß den Laien notwendig in Verwirrung
bringen und dient auch in wissenschaftlicher Hinsicht nicht der Klärung. Zwar
hat auch Wölfflin in seinen »Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen« den Begriff des
Barock weit über seine üblichen Grenzen ausgedehnt. Aber hier erzeugt sich in
dem Leser der Eindruck, daß diese Ausdehnung eine sachlich geforderte ist, daß
der Begriff des Barock durch Wölfflins Erweiterungen erst gleichsam seine 'natür-
liche Sphäre gewinnt. Es ist Wölfflin gelungen, den aufmerksamen Leser von der
inneren Richtigkeit dieser Erweiterung zu überzeugen. Bei Scheffler bleibt dieser
Eindruck aus; und zwar nicht etwa nur aus Mangel an Raum oder aus Mangel
an analytischer Schärfe, sondern weil die Schefflerschen Erweiterungen sich über-
haupt nur bei einer starken Überspannung des natürlichen Gehalts der von ihm
verwendeten Grundbegriffe in ihrem vollen Umfange behaupten lassen. Um es
ganz kurz und etwas übertreibend zu sagen: durch Wölfflin werden unsere Be-
griffe vertieft, während sie durch Scheffler gleichsam gestreckt werden.

Ich schlage darum zwei andere Begriffe vor. Es sind die Begriffe der Form-
kunst (= griechisch) und der Ausdruckskunst (= gotisch). Und zwar wäre unter
Formkunst eine Kunst zu verstehen, die die reine Form als solche kultiviert, so daß
diese als das beherrschende Motiv, ja, bei nicht ganz großen Meistern sogar bis-
weilen als eine Art von Selbstzweck erscheint. Unter Ausdruckskunst verstehe ich
dagegen eine Kunst, in der der Ausdruck als solcher voransteht, und die Form im
kritischen Falle dem Ausdruck aufgeopfert wird. Diese Begriffe haben den Vorzug,
 
Annotationen