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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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Klaiber, Hans: Die lyrische Stimmung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0247
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DIE LYRISCHE STIMMUNG.

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Maler dabei doch in groben Umrissen stecken. Es liegt nun einmal,
dem Futurismus zum Trotz, im Wesen und den Grenzen der bildenden
Künste, daß sie das zeitlich im Raum Koexistierende zum Stoffgebiet
haben. Schon in der Wiedergabe der materiellen Bewegung sind ihnen
enge Schranken gesetzt, der Seelenbewegung stehen sie machtlos gegen-
über. Wie ein seelischer Vorgang durch Ursachen angeregt und in
Fluß gebracht, durch kreuzende Motive beeinflußt und etwa nach
anderen Richtungen abgelenkt wird, wie ein Gefühlszustand durch neu
dazutretende, einander ablösende Gefühlstöne bereichert, variiert und
schließlich umgebildet wird, wie eine zuerst noch unbestimmte, ver-
schwommene Stimmung, durch Zerlegung in ihre Komponenten geklärt,
zuletzt voll und rein erklingt, wie sich zwischen einem fühlenden Be-
trachter und der umgebenden Natur Beziehungen anspinnen, die in
erotischen, religiösen oder philosophischen Gefühlen ihren Ausdruck
finden, wie ein uns selbst unbewußtes oder nur dunkel geahntes
körperliches Gemeingefühl auf unser geistiges Leben ausstrahlt und
sich im Verlauf des Prozesses in ein Schmerz- oder Wehmutsgefühl
um geistige Werte umsetzt, — wie vermöchte der Maler mit Linien,
Formen, Farben und Lichtwirkungen derlei Erlebnisse wiederzugeben?
Kann er doch in der Hauptsache nur die Personen und Dinge vor uns
hinstellen und die zwischen ihnen laufenden Beziehungen lediglich an-
deutungsweise erraten lassen. Seine Aufgaben liegen ja auch auf
anderem Feld. Selbst der Landschaftsmaler versagt hiebei gänzlich,
so gewiß er auch in all den Formen, Farben- und Lichtwerten seiner
landschaftlichen Gebilde die allgemeinen Stimmungen des Heiteren,
Düsteren, Anmutigen, Erhabenen, Schwermütigen u. dgl. ausdrücken
kann. So bleibt das Reich des lyrisch gestimmten Malers entsprechend
den Grenzen, die den Raumkünsten gezogen sind, deutlich genug dem
Dichter gegenüber abgeschrankt. Ihm kommen wir wenigstens in
manchen Beziehungen mit der Musik am nächsten; sie ist hervor-
ragend befähigt, in zeitlicher Folge verlaufende seelische Entwicklung
wiederzugeben, und hat mit der sprachlichen Kunst nicht nur die Mög-
lichkeit gemein, das aufeinander zu beziehen, was in zeitlich aufeinander-
folgender Darbietung gegeben wird, sondern auch eine Reihe von
Mitteln in der Wiedergabe seelischer Abläufe. Es ist bekannt, welche
Rolle diese musikalischen Momente in einer gewissen Richtung der
lyrischen Poesie spielen. Daß ihre Überschätzung zu einer geistigen
Verarmung des lyrischen Erlebnisses führen kann, bestätigt wohl am
besten die Ansicht jener Franzosen, die vom Dichter nur die Geschick-
lichkeit des sprachlichen Handwerkers verlangten, ohne an seine geistige
Bildung höhere Ansprüche zu stellen. »Für ihn (den Dichter) haben
die Worte an sich, abgesehen von ihrem Sinn, eine eigene Schönheit
 
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