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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0478
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474 BESPRECHUNGEN.

nur als Zwischenspiel betrachten. Mit dieser Gewaltsamkeit wird nichts gewonnen.
Das Problem erhebt sich von neuem: hat der Dichter des ersten grünen Heinrichs
alles gesagt? Ist nicht auch hier schon dieselbe stilisierende Kraft wirksam, die
später die sieben Legenden schuf? Mir scheint die Kellersche Erzählungskunst eine
Einheit zu bilden, in der sich Wirklichkeitsnahe und Stilisierung verschiedenwertig
verbinden. Beide Elemente sind immer gemischt, und statt zu trennen, was nicht
zu trennen ist, soljte man die Mischung untersuchen, d. h. feststellen, was diese
romantische, stilisierende Tendenz in ihrem Kern bedeutet, ob sie, unserer Frage
nach, ein Mangel oder eine Stärke des Dichters ist.

Zu einer Untersuchung dieser Frage bietet Hochdorfs Schrift manche gute Be-
obachtung. Offenbar würde seine Antwort der Stilisierung ungünstig lauten. Das
Gefühl der meisten modernen Kellerleser wird ihm recht geben. Man empfindet
oft etwas wie eine Scheinlösung, ein Kompromiß in der Darstellung. Vielleicht
tritt an allen diesen Stellen eine Art von »romantischer Metapher« für eine realistische
Wendung ein. Die Frage bleibt aber offen, ob durch die »Flucht« vor der Wirk-
lichkeit nicht ein neuer Wert geschaffen wird. Auf solchen Stellen beruht vielleicht
mit das schwebende der Kellerschen Fabulierkunst.

Max Hochdorf sagt uns am Schluß, daß er viel der Beispiele im Kasten zurück-
behalten habe. Vielleicht öffnet er den Kasten noch einmal und führt sein fein-
sinnig begonnenes Zergliederungswerk des Kellerschen Erzählerstils weiter. Dabei
werden ihm hoffentlich Wendungen wie die S. 78 über antike Tragödie und Mytho-
logie nicht mehr entschlüpfen. Durch ein Versehen steht auf S. 50 und 51 Romeo
und Julia »auf dem Lande«, statt »auf dem Dorfe«.

Berlin. Alfred Baeumler.

E. Troeltsch, Die Dyflamik der Geschichte nach der Geschichts-
philosophie des Positivismus. Philosophische Vorträge der Kant-
Gesellschaft, Nr. 23. Berlin, Reuther & Reichard, 1919. 99 S.
Mit seiner bekannten Meisterschaft, große Zusammenhänge zu überblicken, Ge-
dankensysteme auf ihre letzten Motive und ihre kulturellen Grundlagen genau zu
untersuchen und die ganze ungeheure Masse des Materials mit allen andringenden
Assoziationen wuchtig zusammenzuballen, mustert der Verfasser die kausalgenetische
Methode der Geschichtsbetrachtung in ihrem Vorstadium bei St. Simon, ihrer Aus-
bildung bei Comte, Mill und Spencer und ihren letzten Nachwirkungen bei Wundt.
Dem ästhetisch interessierten Leser schwebt ja vor allem die Anwendung der
Methode auf das künstlerische Leben bei H. Taine vor. Dem kritischen Blicke des
Verfassers entgehen die Schwächen des ganzen Verfahrens nicht, läßt es sich doch
auf so zusammengesetzte und individuell differenzierte Erscheinungen und Gebilde
wie künstlerische Persönlichkeiten und Kunstwerke nur mit Gewaltsamkeit oder nur
mit steten Anleihen bei einer teleologischen Betrachtungsweise anwenden, die denn
doch wieder von der älteren dialektischen Auffassung nicht mehr wesentlich ver-
schieden ist. Es wird ein Hauptverdienst der scharfsinnigen Untersuchung bleiben,
die Annäherung von Wündts Lehre vom »historischen Auftrieb« an Gedanken Hegels
gezeigt zu haben, besonders was die höheren Schichten der Kultur, also etwa die
vierte Stufe der geschichtlichen Entwicklung nach der Anschauung des Leipziger
Denkers angeht. Damit ergibt sich von selbst T.'s ablehnende Stellung zu Lamp-
rechts Konstruktion, der die »Gleichläufigkeit« in der Stufenfolge vollentwickelten
Volkstums theoretisch behauptet, aber angesichts der recht verschiedenen Entwick-
lung, z. B. der Griechen und Römer, der Chinesen und Engländer doch nicht durch-
 
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