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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0482
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478 BESPRECHUNGEN.

wird im Schillerschen Jambus abgeschwächt und verbreitert. Metrum, Diktion und
Charakter des Originals werden umgebogen. Schillers Neigung zum Rhetorischen,
unterstützt durch die französische Übersetzung, hat den Stil der Verdeutschung
wesentlich bestimmt, ebenso die Anwendung des Reims in den Chören mit intensiver
Betonung desselben.

Im zweiten Abschnitt weist die Verfasserin nach, daß weder formale Elemente
der griechischen Tragödie in sprachlicher, metrischer oder szenischer Hinsicht bei
Schiller tiefer wirksam geworden sind, noch Gepräge und Gehalt seiner Dramen
wesentlich Einfluß erfahren haben. Das erste läßt sich bei der Anwendung oft bis
ins einzelne durchgeführter Gleichnisse und ihrer äußeren Nachbildung nach antikem
Muster feststellen, wobei zugleich der Unterschied zutage tritt: die Gleichnisse der
griechischen Tragödie sind konkret, sinnlich, sichtbar — die Gleichnisse Schillers
abstrakt, anschaulich gemacht, fast immer gedacht. »Im Seelischen, nicht im Sinn-
lichen liegt der Nerv der Schillerschen Dramatik und darum auch seiner Dramen-
sprache, und im Seelischen wieder nicht in den Leidenschaften, sondern im sittlichen
Erleben« (S. 48). Das Gedankliche arbeitet stark mit. Auch der Sprachbau ist
grundsätzlich anders: bei der griechischen Tragödie trotz des klaren Gesamtgefüges
ein lebhaftes Hervortreten jeder einzelnen Vorstellung, bei Schiller eine nie ver-
weilende Vorwärtsbewegung, die das einzelne nicht greifbar werden läßt, der Schwer-
punkt des Verses liegt fast immer am Ende. Annäherung, wenn auch nicht direkte
Einwirkung beobachten wir im Wechsel des Metrum und des Rhythmus bei den
späteren Dramen. Das Einführen des Chors ist ein bedeutsames Element, wenn
auch mehr um des dramatischen Gehaltes als um der szenischen Technik willen.
Bei alledem aber äußert sich griechischer Einfluß mehr im Vorhandensein als in
der Art dieser Elemente (S. 55). Was den Gehalt der Dramen Schillers betrifft, so
kann hierbei mit Recht nur die allgemeine Voraussetzung des tragischen Weltgefühls,
der heroischen Empfindung und der Selbstwertung des Menschen als verwandt an-
gesprochen werden — das besondere ist grundverschieden, vor allem die moralische
Einstellung Schillers unter dem Einfluß Kants. Bei Schillers tragischer Ansicht
»steht im Mittelpunkt die moralische Freiheit, die dem Menschen die Fähigkeit ver-
leiht, alle Hindernisse und Qualen seelisch zu überwinden, auch wenn er ihnen
physisch unterliegt« (S. 67). Hiermit wird hingewiesen auf die gänzlich ungriechische
Trennung des sittlichen und sinnlichen Menschen. Dieser Hinweis erscheint mir
besonders wichtig, insofern er die Wurzel der Griechenfremdheit Schillers und seiner
Dramatik berührt: Schiller verlegt den Schwerpunkt des tragischen Konfliktes in die
menschliche Seele, bei den Griechen spielt der dramatische Kampf vorwiegend
zwischen Menschen oder zwischen Mensch und Geschick, bei ihnen liegt das Haupt-
gewicht im Geschehen. An einem Vergleich mit Shakespeare, der beide Elemente:
äußeres und inneres Geschehen vereint, wird der Unterschied verdeutlicht (S. 70).
Selbst beim Wallenstein, »wo unter dem noch frischen Eindruck der griechischen
Tragödie das äußere Geschehen immerhin am ehesten eigene Größe und Kraft
hat« (S. 74), und beim Teil werden Seelenkonflikte stark betont. Die »Braut von
Messina« ist zwar durchaus Handlungstragödie, aber auch sie verzichtet nicht
völlig auf den inneren Konflikt. Schillers Gleichgültigkeit gegen das äußere Ge-
schehen ist weniger aus Mangel an historischem Sinn als aus überwiegend psycho-
logischem Interesse zu erklären, wobei ich dieses allerdings nicht vom ethischen
trennen möchte. Jedenfalls zeigt die herangezogene Stelle (S. 77) eine ganz Kanti-
sche Einstellung. Hieran schließt sich eine tiefsinnige Ausführung über Schicksal
und Charakter in der antiken und modernen Tragödie. Mit Recht wird der land-
läufige Begriff vom blind waltenden Fatum als Ursprung allen Konfliktes sowohl
 
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