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KÄTE FRIEDEMANN.
zu verflüchtigen. Aber damit symbolisiert er sie eben nicht mehr, son-
dern entkleidet sie ganz bewußt ihres Bildcharakters.
Es würde sich erübrigen, erschöpfende Beispiele für Ibsens Art anzu-
führen, weil fast vom ersten bis zum letzten Wort seine Dichtung nichts
anderes enthält. Es sei nur erinnert an die nicht gedachten Gedanken Peer
Gynts, die ihn als Knäuel am Gehen hindern, an die welken Blätter, die
seine nicht gesprochene Losung bedeuten, an die gebrochenen Halme, als
seine nicht getanen Taten, an die Trolle, die als seine sinnlichen Begier-
den auftreten (auch Baumeister Solness spricht später vom Troll in sich),
oder an die Zwiebel seiner Existenz, deren Kern Peer Gynt vergeblich
sucht. Im „Baumeister Solness" erscheint wiederum die Höhe des Ideals
als Kirchturmspitze, seine abgestorbene Weltanschauung als abgebranntes
Haus. In „John Gabriel Borkmann" wird das Überfahrenwerden durch
das Leben als ein Überfahrenwerden von einem Schlitten auf der Land-
straße symbolisiert. Allerdings — was hier bedeutsam ist — (wir fin-
den etwas Ähnliches in der „Wildente"), der Schlitten dient nicht nur
zur Symbolisierung des Lebens, sondern ist gleichzeitig ein Faktor der
realen Handlung. Borkmanns Sterben durch die Kälte seines Herzens
erscheint als ein Sterben durch die Winterkälte. Die Beispiele ließen
sich beliebig vermehren. — Aber nicht immer handelt es sich bei
Ibsen nur um Gedachtes. Er kennt auch relativ Abstraktes, d. h.
solches, das eigentlich ins Gebiet des Konkreten gehört, aber für
ihn dennoch der Symbolisierung bedarf, um ihm sinnlich nahe gebracht
zu werden. So z. B., wenn er das Allgemeine durch das Besondere re-
präsentiert, — die Jugend durch die Gestalt Hilde Wangels, die gerade
in dem Augenblick an die Tür klopft, wo der Baumeister davon spricht,
daß die Jugend bei ihm anklopfe, oder die einzelne Situation, in der
schön genossen wird — Eyjlert Löwborg mit Weinlaub im Haar — für
den schönen Lebensgenuß überhaupt. In der Gestalt der Wildente,
die weiterlebt, trotzdem sie eine Ladung Schrot in den Balg gekriegt
und zwischen den Zähnen eines Hundes gewesen ist, verdichtet sich
ein ganzes menschliches Lebensschicksal. In den „Kronprätendenten"
wird die Gesamthandlung des Dramas durch eine kurze Einzelhandlung
— das Schachspiel zwischen Jarl Skule und dem Bischof — konzentriert
im Bilde geschaut. Roman Woerner weist in seinem Buche über Ibsen
darauf hin, daß im „Brand" der 5. Aufzug nur eine symbolische Wieder-
holung dessen darstelle, was Brand in den ersten vier Akten getan und
gelitten habe.
Aber Ibsen neigt dann auch dazu, die ganze Handlung dadurch zu
symbolisieren, daß er eine parallele Handlung ihr zur Seite stellt. So
in der „Wildente" das Geschehen in der Menschenwelt durch ein Ge-
schehen in der Tierwelt, das aber dann gleichzeitig das menschliche
KÄTE FRIEDEMANN.
zu verflüchtigen. Aber damit symbolisiert er sie eben nicht mehr, son-
dern entkleidet sie ganz bewußt ihres Bildcharakters.
Es würde sich erübrigen, erschöpfende Beispiele für Ibsens Art anzu-
führen, weil fast vom ersten bis zum letzten Wort seine Dichtung nichts
anderes enthält. Es sei nur erinnert an die nicht gedachten Gedanken Peer
Gynts, die ihn als Knäuel am Gehen hindern, an die welken Blätter, die
seine nicht gesprochene Losung bedeuten, an die gebrochenen Halme, als
seine nicht getanen Taten, an die Trolle, die als seine sinnlichen Begier-
den auftreten (auch Baumeister Solness spricht später vom Troll in sich),
oder an die Zwiebel seiner Existenz, deren Kern Peer Gynt vergeblich
sucht. Im „Baumeister Solness" erscheint wiederum die Höhe des Ideals
als Kirchturmspitze, seine abgestorbene Weltanschauung als abgebranntes
Haus. In „John Gabriel Borkmann" wird das Überfahrenwerden durch
das Leben als ein Überfahrenwerden von einem Schlitten auf der Land-
straße symbolisiert. Allerdings — was hier bedeutsam ist — (wir fin-
den etwas Ähnliches in der „Wildente"), der Schlitten dient nicht nur
zur Symbolisierung des Lebens, sondern ist gleichzeitig ein Faktor der
realen Handlung. Borkmanns Sterben durch die Kälte seines Herzens
erscheint als ein Sterben durch die Winterkälte. Die Beispiele ließen
sich beliebig vermehren. — Aber nicht immer handelt es sich bei
Ibsen nur um Gedachtes. Er kennt auch relativ Abstraktes, d. h.
solches, das eigentlich ins Gebiet des Konkreten gehört, aber für
ihn dennoch der Symbolisierung bedarf, um ihm sinnlich nahe gebracht
zu werden. So z. B., wenn er das Allgemeine durch das Besondere re-
präsentiert, — die Jugend durch die Gestalt Hilde Wangels, die gerade
in dem Augenblick an die Tür klopft, wo der Baumeister davon spricht,
daß die Jugend bei ihm anklopfe, oder die einzelne Situation, in der
schön genossen wird — Eyjlert Löwborg mit Weinlaub im Haar — für
den schönen Lebensgenuß überhaupt. In der Gestalt der Wildente,
die weiterlebt, trotzdem sie eine Ladung Schrot in den Balg gekriegt
und zwischen den Zähnen eines Hundes gewesen ist, verdichtet sich
ein ganzes menschliches Lebensschicksal. In den „Kronprätendenten"
wird die Gesamthandlung des Dramas durch eine kurze Einzelhandlung
— das Schachspiel zwischen Jarl Skule und dem Bischof — konzentriert
im Bilde geschaut. Roman Woerner weist in seinem Buche über Ibsen
darauf hin, daß im „Brand" der 5. Aufzug nur eine symbolische Wieder-
holung dessen darstelle, was Brand in den ersten vier Akten getan und
gelitten habe.
Aber Ibsen neigt dann auch dazu, die ganze Handlung dadurch zu
symbolisieren, daß er eine parallele Handlung ihr zur Seite stellt. So
in der „Wildente" das Geschehen in der Menschenwelt durch ein Ge-
schehen in der Tierwelt, das aber dann gleichzeitig das menschliche