Bemerkungen.
Zur Umwertung des Impressionismus.
Von
Stephanie Zahorska.
Der Weg, den die Entwicklung der Malerei in letzter Zeit genommen hat, war
uns bis jetzt nicht deutlich sichtbar; gleichsam als ob wir an einer Biegung dieses
Weges gestanden hätten, die uns den Rückblick verwehrte. Jetzt aber nähern wir
uns einem Aussichtspunkt, von dem aus wir die Malerei der letzten Jahrzehnte frei
übersehen können: den Impressionismus und sein Verhältnis zu den jetzigen Rich-
tungen.
Die Entfernung zwischen uns und dem Impressionismus wächst. Und Haß und
Abwehr, die er seinerzeit erregte, scheinen uns heute fast unsinnig. Haß ist immer
noch ein Zeichen der Nähe. Heute können wir dem Impressionismus gegenüber
schon eine gewisse Objektivität aufbringen, wenn auch sein Einfluß auf die wer-
dende Kunst vielleicht immer noch größer ist, als wir voraussetzten.
Die übertrieben kriegerische Stellung der anti-impressionistischen Kritik der
letzten und vorletzten Jahre erscheint uns jetzt beinahe lächerlich. Ihr Übereifer
ist uns zum Beweis ihrer Schwäche und innerlichen Abhängigkeit geworden. Immer
stärker drängt sich uns die Überzeugung auf, daß die Kritik des Impressionismus,
die unter dem Einfluß der anti-impressionistischen Richtungen entstanden war, von
Leuten ausgegangen sein muß, deren Verhältnis zur Welt noch ausgesprochen —
impressionistisch war. Das klingt paradox. Und doch kann man sich diesem Ein-
druck nicht verschließen.
Wir brauchen uns nur darüber klar zu werden, welchen Standpunkt diese Kritik
in bezug auf das Verhältnis des Impressionismus zur Natur eingenommen hat. Zum
Gemeinplatz, zum geheiligten Axiom, zur Zielscheibe der heftigsten Angriffe wurde
die Behauptung, das Verhältnis des Impressionismus zur Natur sei „passiv", d. h.
die Grundlage des Impressionismus sei eine getreue Wiedergabe der Erscheinungen.
Auf diesen Punkt zielten die Schlagworte der vom Impressionismus sich abwenden-
den Richtungen, welche an Stelle einer getreuen Wiedergabe der Natur deren Defor-
mierung verkündeten, wobei sie freilich nicht bemerkten, daß in einer solchen Negie-
rung der Natur im Grunde ebensoviel Abhängigkeit von ihr sich barg, wie in ihrer
positiven Bejahung.
Man mußte wahrlich tief im Impressionismus stecken, man mußte die Natur
ganz mit den Augen des Impressionisten betrachten, um im Impressionismus die
getreue Wiedergabe der Natur zu sehen. Ein Beweis, daß wir uns tatsächlich vom
Impressionismus entfernt haben, liegt eben darin, daß er aufgehört hat, uns ein
Synonym der sichtbaren Wirklichkeit zu sein. Heute ist jene tiefste Wandlung be-
reits vollzogen, welche die Grundlage aller Wandlungen im künstlerischen Schaffen
ist: die Wirklichkeit hat sich verändert, weil unser Verhältnis zu ihr sich geändert
hat. Der Impressionismus deckt sich mit unserer Wirklichkeit nicht mehr, denn
unsere Wirklichkeit ist nicht mehr die der Impressionisten.
Zur Umwertung des Impressionismus.
Von
Stephanie Zahorska.
Der Weg, den die Entwicklung der Malerei in letzter Zeit genommen hat, war
uns bis jetzt nicht deutlich sichtbar; gleichsam als ob wir an einer Biegung dieses
Weges gestanden hätten, die uns den Rückblick verwehrte. Jetzt aber nähern wir
uns einem Aussichtspunkt, von dem aus wir die Malerei der letzten Jahrzehnte frei
übersehen können: den Impressionismus und sein Verhältnis zu den jetzigen Rich-
tungen.
Die Entfernung zwischen uns und dem Impressionismus wächst. Und Haß und
Abwehr, die er seinerzeit erregte, scheinen uns heute fast unsinnig. Haß ist immer
noch ein Zeichen der Nähe. Heute können wir dem Impressionismus gegenüber
schon eine gewisse Objektivität aufbringen, wenn auch sein Einfluß auf die wer-
dende Kunst vielleicht immer noch größer ist, als wir voraussetzten.
Die übertrieben kriegerische Stellung der anti-impressionistischen Kritik der
letzten und vorletzten Jahre erscheint uns jetzt beinahe lächerlich. Ihr Übereifer
ist uns zum Beweis ihrer Schwäche und innerlichen Abhängigkeit geworden. Immer
stärker drängt sich uns die Überzeugung auf, daß die Kritik des Impressionismus,
die unter dem Einfluß der anti-impressionistischen Richtungen entstanden war, von
Leuten ausgegangen sein muß, deren Verhältnis zur Welt noch ausgesprochen —
impressionistisch war. Das klingt paradox. Und doch kann man sich diesem Ein-
druck nicht verschließen.
Wir brauchen uns nur darüber klar zu werden, welchen Standpunkt diese Kritik
in bezug auf das Verhältnis des Impressionismus zur Natur eingenommen hat. Zum
Gemeinplatz, zum geheiligten Axiom, zur Zielscheibe der heftigsten Angriffe wurde
die Behauptung, das Verhältnis des Impressionismus zur Natur sei „passiv", d. h.
die Grundlage des Impressionismus sei eine getreue Wiedergabe der Erscheinungen.
Auf diesen Punkt zielten die Schlagworte der vom Impressionismus sich abwenden-
den Richtungen, welche an Stelle einer getreuen Wiedergabe der Natur deren Defor-
mierung verkündeten, wobei sie freilich nicht bemerkten, daß in einer solchen Negie-
rung der Natur im Grunde ebensoviel Abhängigkeit von ihr sich barg, wie in ihrer
positiven Bejahung.
Man mußte wahrlich tief im Impressionismus stecken, man mußte die Natur
ganz mit den Augen des Impressionisten betrachten, um im Impressionismus die
getreue Wiedergabe der Natur zu sehen. Ein Beweis, daß wir uns tatsächlich vom
Impressionismus entfernt haben, liegt eben darin, daß er aufgehört hat, uns ein
Synonym der sichtbaren Wirklichkeit zu sein. Heute ist jene tiefste Wandlung be-
reits vollzogen, welche die Grundlage aller Wandlungen im künstlerischen Schaffen
ist: die Wirklichkeit hat sich verändert, weil unser Verhältnis zu ihr sich geändert
hat. Der Impressionismus deckt sich mit unserer Wirklichkeit nicht mehr, denn
unsere Wirklichkeit ist nicht mehr die der Impressionisten.