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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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Matz, Friedrich: Der Begriff des Klassischen in der antiken Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0092
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78

BEMERKUNGEN.

Denn in der Tat scheint es so zu sein, daß die antike Kunst — worunter hier
nur die griechisch-römische zu verstehen ist — als Komplex genommen zum Gan-
zen der abendländischen Kunst in einem ähnlichen Verhältnis steht wie die klas-
sische Kunst des V. Jahrhunderts zu ihr selber. Innerhalb ihrer antiken Umgebung
nimmt aber die römische Kunst eine ganz und gar unklassische Haltung an. Da,
wo sie zusammen mit der griechischen in den Lichtschein geschichtlichen Daseins
eintritt, liegen zwar die Wurzeln nahe bei jener. Auch sie läßt sich auf eine rein
ornamentale alteuropäische Kunstübung in direkter Linie zurückführen, die für
uns in dem sogenannten Villanovastil zuerst greifbar wird. Aber schon hier kün-
digt sich, freilich zunächst noch recht zaghaft und unentschieden, ihre eingeborene
Anlage an, die sich als optischer Positivismus definieren läßt. Eben diese ihre
positivistische Einstellung, die von keinem besser als von Rodenwaldt charakteri-
siert worden ist, hat ihr aber den Zugang zur wirklichen Klassik verschlossen
und sie von Anfang an ausschließlich vor die Alternative zwischen Bedingtem und
Bedingendem gestellt, ohne jenen Mittelweg offen zu lassen. Denn das Gesetz des
Organischen gilt hier nicht, sondern das des Charakters, der Individualität. Das
Imperium ist kein Organismus, wie die griechische Polis es war, sondern ein
historisch Bedingtes, das römische Recht ist kein System, sondern eine praktische,
positive Leistung. Die flavische und die spätantoninische Kunst, denen man den
etruskischen Hellenismus als Vorstufe anschließen kann, stellen daher den äußersten
Grad der Bejahung des Bedingenden in der Welt dar, zu dem es die antike Kunst
gebracht hat. Erst recht nicht ihresgleichen in der voraufgegangenen Zeit hat aber
die spiritualistische Freiheit und Überwindung der Naturgesetzlichkeit, wie sie
von der spätantiken Kunst proklamiert wird, die eben darum auch nur noch zum
einen Teil innerhalb des Rahmens der antiken Kunst steht.

Das hier angedeutete Geschichtsbild kann natürlich nur die wichtigsten Fol-
gerungen berühren, die sich aus einer Anwendung von Finders Begriff des Klas-
sischen auf das Material der antiken Kunstgeschichte ergeben. Indem er die ob-
jektiven Mafistäbe als gültig anerkennt, hält er sich doch von normativer Starr-
heit ebenso fern wie von banalem Relativismus und wird, so weit ich sehe, allen
Erscheinungen des geschichtlichen Lebens in hohem Grade gerecht. Denn das ist
es, was wir brauchen. Die begrifflichen Formeln, die sich aus den großen Werkei:
der Vergangenheit abziehen lassen, interessieren uns an sich ebenso wenig wie die
rein historische Bezüglichkeit dieser Werke untereinander. Wir suchen das Gesetz,
das in ihnen allen wirkt, um jedes einzelne in seinem besonderen Sinne deuten zu
können.
 
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