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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0094
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BESPRECHUNGEN.

Dubos gefallen lassen, nur daß sie eben nicht über die sozusagen materiellen Grund-
lagen oder Beiklänge der tragischen Wirkung hinauskommen.

Daß Aristoteles die ästhetische Wirkung der Tragödie ungefähr in dem Sinne
von Otte, dessen Deutung wir hier durch ein paar ergänzende Andeutungen zu
stützen suchten, aufgefaßt habe, wird durch seine weitere Ausführung der „Defini-
tion" in den folgenden Kapiteln und vor allem durch seine Dramenkritiken sehr
nahe gelegt. Es wäre tatsächlich eine wahre Last von unserer Seele gewälzt, wenn
wir den Nachweis als schlechthin gelungen ansprechen dürften, daß es sich bei der
vielumstrittenen Stelle jener Definition (die nun gerade nicht in den weiteren
Abschnitten explicite gedeutet wird!) auf diese ästhetische Wirkung beziehen
dürften. Ottes Beweismaterial hat für den rein ästhetisch an der Sache interessierten
Leser außerordentlich viel Bestechendes; ob sie wirklich stichhaltig ist, muß der
Philologe nachprüfen, denn die Beweismittel Ottes sind vorzugsweise sprachlicher
Art. Freilich muß schon ein rechter Philologe darüberkommen, der aus Parallel-
stellen und Lexikonartikeln nicht allgemein verbindliche Bedeutungswerte abzuleiten
sucht, sondern der besonderen Art der einzelnen Stellen und dem individualisierenden
Wortgebrauch des Autors wirklich gerecht zu werden vermag. Selbst Otte scheint
mir jenen Hilfsmitteln oft zuviel unmittelbare Beweiskraft beizumessen und sich zu
augenscheinlich auf sie zu stützen.

Ottes Interpretation erstreckt sich auf vier Worte des Aristoteles, die in der
Definition der Tragödie eine wichtige Rolle spielen. Jedes dieser Wörter usqaivovoa,
Toiomog, ncWrj/.ia und y.d'&agaig sucht der Verf. seiner Grundthese zuzubiegen.
Er bezieht zunächst negaivovoa nicht auf zoaycpdui, sondern auf ßi/xr/oig, wo-
gegen sich kaum erhebliches einwenden läßt. Einschneidender und wirklich heiß
umstritten ist eine Beziehung des Towvvmv (zmv na-ßrjßdzav) auf die ngäl-ig
anovdata nai vsXsia. Er schüttet ein wahres Füllhorn von Deutungen und klassi-
schen Belegen über uns aus, um zu erhärten, daß zoiovtmv nicht durchaus auf
etwas bezogen werden müsse, was kurz vorangeht; diese vielen Belege schärfen
tatsächlich unser Sprachgefühl für die Neigung der Sprache, hintergründliche Be-
ziehungen zwichen den einzelnen Vorstellungen durch einfache deiktische Sprach-
mittel anzudeuten, wodurch leicht Irrtümer entstehen können; ein Beispiel für viele:
jemand fragt, wie man eine Marmorfigur am besten von Staub und Schmutz befreien
könne und erhält die Antwort, mit Bürste und Seife reinige man derartige Gegen-
stände am besten. Hier ist ohne weiteres klar, daß „derartige" sich nicht auf Seife
und Bürste, sondern auf die Marmorfigur bezieht, die damit nur in einen größeren
Zusammenhang bezogen wird; gemeint ist in Wahrheit: „reinigt man solche (näm-
lich eine Marmor-)Figur und derartige Gegenstände überhaupt am besten." Aber
in der Aristotelesstelle liegt der Fall etwas anders. Hier wird doch nicht die ngä^ig
cnovdala xcü -ceXeia dem Oberbegriff %&>v jiadumdvayii untergeordnet (selbst wenn
wir Ottes Erklärung der na§i)i.Mza als „leidvoller Begebnisse" anerkennen wol-
len), sondern höchstens ist das eine dem andern sprachlich und logisch gleich-
geordnet. Auch dergleichen kommt freilich in den von Otte herangezogenen Beleg-
stellen reichlich vor, wenn z.B. die Postverwaltung Ende 1916 vor dem massen-
haften Austausch von Neujahrsglückwünschen zwischen Heimat und Heer warnt
und dann die Bevölkerung bittet, beim bevorstehenden Jahreswechsel „von der Ver-
sendung solcher Briefschaften" usw. „Abstand zu nehmen." Aber wenn wir die von
O. gesammelten Beispiele durchgehen, so werden wir kaum eines rinden, wo die
Gefahr der Verwechslung und des Mißverständnisses so nahe liegt, wie in unserer
Tragödien-Definition, die doch wirklich eine besonders klare und durchsichtige For-
mulierung verlangen durfte. Bei solchen Stellen wie z. B. Soph. Electra V. 910 ff.
(um nur eine unter sehr vielen herauszugreifen) „derartiges zu tun", nämlich den
 
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