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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0118
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BESPRECHUNGEN.

men. Der Titel „Wesensbestimmung" darf jedoch nicht so aufgefaßt werden, als
ob hier eine Wesensbeschreibung der deutschen Romantik auf Grund eines unmittel-
baren Quellenstudiums gegeben würde. Es handelt sich hier vielmehr darum, die
bisherigen, der Romantik gewidmeten Forschungen der deutschen Literaturgeschichte
zu überschauen, ihre Ergebnisse zu überprüfen und von einer höheren, gleichsam
überparteilichen Warte aus eine neue zusammenfassende Einheit zu finden, die allen
diesen so verschiedenen Wesensauffassungen der Romantik zugrundeliege. Der Titel
umschreibt gewissermaßen also nur das „Thema des Themas", wie der Verfasser
im Vorwort selber sagt. Wir empfangen m. a. W. einen Rundblick über den Stand
der gegenwärtigen Romantikforschung, der sich sowohl durch seine Vollständigkeit
als auch durch die Eröffnung zahlreicher neuer Gesichtspunkte auszeichnet. Aber
mit dieser Überschau über die Romantikliteratur gibt nun der Verfasser nicht nur
eine „Einführung" in das Sondergebiet der Romantik, sondern auch zugleich eine
solche in die „moderne Literaturwissenschaft" überhaupt. Denn innerhalb der Lite-
raturforschung hat seit der Jahrhundertwende die Beschäftigung mit der Romantik
ein „derart erdrückendes Übergewicht gewonnen, daß, von einem gewissen für die
Barockzeit erwachten Interesse und einer zart aufkeimenden Neigung zum Mittel-
alter abgesehen, die heutige Literaturgeschichte beinahe mit Romantikforschung
gleichgesetzt werden kann" (S. 2). Der Mensch von heute dürfe zwar schwerlich
Romantiker genannt werden, aber in seinem allgemeinen Gegensatz gegen Rationa-
lismus, Mechanismus und Materialismus, in seinem religiösen und metaphysischen
Drang nach ewigen Werten und in seinem Streben, die Dinge von innen zu sehen,
fühle er eine Wahlverwandtschaft, die ihn zur alten Romantik treibe. Und fernerhin
sagt der Verfasser mit vollem Recht: „Der Geist der Romantik erfaßt die Dichtung,
die Malerei, die Architektur, die Musik, die Philosophie, den Religionsbegriff, die
Natur-, Staats- und Geschichtsauffassung, die Politik, schließlich die Wissenschaft
überhaupt, die aus romantischer Philosophie, romantischer Naturwissenschaft und
romantischer Geschichtsauffassung eine neue Geburt erfahren hat." Der Kern des
Petersenschen Gedankenganges liegt aber darin, daß eine Wissenschaft, „die heute
diesen großen Zusammenhang des romantischen Geistes erfassen will, selbst roman-
tisch sein muß". So habe auch die moderne Geistesgeschichte, die dem Vorbilde und
den Anregungen W. Diltheys folgt, ihre Wurzeln in der Romantik, und man könne
sie am besten als „progressive Universalwissenschaft" bezeichnen. (S. 7.) Die
geistesgeschichtliche Betrachtungsweise der neuesten Literaturwissenschaft habe
gelegentlich auch in der Form romantische Züge: „etwas Fragmentarisches, Chaoti-
sches, Gärendes, im Problemreichtum Unbegrenztes, in geistreichen Formen Spie-
lendes, das Paradoxe Suchendes, durch leuchtende Form Blendendes — positiv ge-
sagt: einen starken künstlerischen Zug ...", sie werde von dem sehnsüchtigen Drang
nach Einheit beherrscht, der um so romantischer ist, „je weniger es gelingt, die
absolute Einheit zu erreichen ..." (S. 8.) Das Suchen nach Einheit charakterisiert
sich — nach Petersen — in den drei modernsten Strömungen der deutschen Litera-
turwissenschaft: in der ethnologischen (Einheitsprinzip: Stammesverwandtschaft),
in der ideengeschichtlichen (Einheitsprinzip: Geistesverwandtschaft) und in der
ästhetischen Strömung (Einheitsprinzip: Stilverwandtschaft). Daneben unterscheidet
er noch eine soziologische und eine generationsmäßige Grundrichtung der Forschung.

Wir müssen hier auf die Wiedergabe der Charakteristik dieser Strömungen
im einzelnen verzichten und auch auf die Erörterung der naheliegenden Frage, ob
nicht noch andere Einteilungsmöglichkeiten dieser Grundrichtungen bestanden haben
und ob man nicht eventuell noch weitergehend hätte zusammenfassen können, wie
z. B. die sogenannte „ideengeschichtliche" Richtung mit der „generationsmäßigen"
 
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