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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0120
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BESPRECHUNGEN.

mütig sein muß, alle anderen Wissenschaften, auch die Geistesgeschichte,
auch die Philosophie, von ihrem Standpunkt aus als Hilfswissenschaften zu
betrachten und dem einen Zwecke der Deutung und Erfassung der Dichtung
dienstbar zu machen" (S. 182). „Dichiungsgeschichfe oder sogar Geschichte
der Sprachkunst, die neben der Geistesgeschichte ihre Selbständigkeit behaupten
will, darf nicht nur Problemgeschichte sein, denn dann würde sie als Handlangerin
der Geistesgeschichte in dieser aufgehen. Mit Verzicht auf die Selbständigkeit aber
würde sie nicht nur sich selbst, sondern die Dichtung preisgeben" (S. 181). Inwie-
fern die moderne Geistesgeschichte die Eigengesetzlichkeit der Kunst gefährdet, ist,
soweit es sich um eine geistesgeschichtliche Betrachtungsweise im Sinne Diltheys
handelt, keineswegs einzusehen. Freilich ist es richtig, daß nach Dilthey alle ein-
zelnen geistigen Lebensgebiete in einem gleich hohen Range untereinander und zu-
einander in einer unauflösbaren inneren Wechselbeziehung stehen. Es ist fernerhin
richtig, daß die „Magie des Zeitgeistes", der alle Lebensäußerungen eines Zeitalters
in gleiche Richtung lenkt, die Voraussetzung und Grundlage geistesgeschichtlicher
Betrachtung ist, „deren Ziel in jeder Periode auf die Wurzeln und Daseinsbedingun-
gen solcher gemeinsamen Ausdrucksrichtung eingestellt sein muß, also auf die for-
menden Kräfte, die ihn gestalteten" (S. 180). Aber bei aller Unterordnung der
geistigen Objektivationen, die auf den verschiedenen Sondergebieten des „objektiven
Geistes" zu gleicher Zeit geschaffen werden, unter den höheren, gemeinsamen Be-
griff des jeweiligen „Zeitgeistes" wird doch, wie schon gesagt, die individuelle
Eigenart der Kunst nicht gefährdet, ja gerade die Diltheysche Richtung der Geistes-
geschichte betont mit allem Nachdruck, daß Wissenschaft, Kunst, Religion, Recht,
Staat, Wirtschaft durchaus eigenen Strukturgesetzlichkeiten ihren Aufbau verdan-
ken. Im besonderen hat gerade Dilthey mit nicht geringem Erfolge sich bemüht,
der Rationalisierung irrationaler Kulturgebilde entgegenzuwirken. Die „Selbstän-
digkeit" der „Dichtungsgeschichte" erscheint uns also durch die geistesgeschicht-
liche Betrachtungsweise keineswegs gefährdet; dagegen dürfte eine erneute fach-
mäßige oder provinzielle Isolierung der Dichtungsgeschichte diesem Forschungs-
gebiet und seinem Gegenstand selber kaum zugute kommen.

Von einem anderen Gesichtspunkt aus ist aber auch gar nicht einzusehen, wes-
halb denn überhaupt die gegenwärtige Literarturforschung, die fast ausschließlich
der Wesensergründung der Romantik gewidmet ist, die ihr als adäquat und wesens-
verwandt zuerkannte „geistesgeschichtliche" Betrachtungsweise nicht völlig bejahen
sollte, und zwar nicht nur in dem Sinne bejahen sollte, daß sie als eine die Dich-
tungsgeschichte ergänzende Methode angesehen, sondern vielmehr als die der
gegenwärtigen Literaturforschung allein entsprechende betrachtet wird. Petersen hat
sich für die eine oder die andere Betrachtungsweise nicht ausdrücklich und ein-
deutig entschieden. Dennoch liegt in der deutlichen Neben einanderstellung der
beiden Methoden, die sich in der verschiedenen Beurteilung der „Dichtung" als
„Mittel" bzw. als „Selbstzweck" trennen, und darin, daß in der gegenwärtigen Be-
vorzugung der sog. Geistesgeschichte ein „besonderes Ausnahme Verhältnis" er-
blickt wird, eine gewisse Befürwortung der Dichtungsgeschichte in dem bereits ent-
wickelten Sinne. So sehr sich also der Verfasser bemüht zeigt, beide Betrachtungs-
weisen gelten zu lassen, so vermag man sich doch nicht des Eindrucks zu erwehren,
daß die „Dichtungsgeschichte" das eigentliche Methodenideal darstellen solle.
Denn ein methodisches Ideal darf nicht nur für eine gewisse Zeitepoche gelten, son-
dern muß allgemeingültigen Charakter tragen. P. stellt aber ausdrücklich die in
der Romantik und somit in der gegenwärtigen Romantikforschung großenteils er-
folgte, wenn auch nur relative Identifikation von Dichtungsgeschichte und Geistes-
 
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