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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0123
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BESPRECHUNGEN.

109

schränkung dann gewisse Unstimmigkeiten, wie ich sie an einem Beispiel erläutern
will.

Zincke arbeitet zu verschiedenen Malen und mit vollem Recht Technik und
Wirkung des katastrophalen Schlusses der Novelle „Zwei Gefangene" heraus: wie
die ganze Darstellung von weit her darauf hintreibe, wobei sie den Leser bis zuletzt
im Unklaren lasse über die Art des Ausgangs, sodaß am Ende seine Erschütterung
eine vollkommene sei, und wie die Novelle höchst wirkungsvoll unmittelbar mit der
Katastrophe abschließe. Alles durchaus treffende Beobachtungen — für diese
Novelle. Darf der Leser von Z.'s Schrift nun nicht aber auf Grund schon ihres
Titels erwarten, in dieser mit solcher Betonung entwickelten Stilbeobachtung etwas
für Heyses Novellenstil, wenn nicht überhaupt, so doch in weitem Maße Typisches
erfaßt zu haben? Nun lese man aber, was ein anderer Erforscher von Heyses
Novellenstil gerade zu diesem Punkte schreibt. Max Q u a d t schreibt in seiner im
Druck nicht erschienenen Tübinger Maschinoskript-Dissertation von 1924 (Referent
Hermann Schneider) „Die Entwicklung von Paul Heyses Novellentechnik", die Zincke
nicht zu kennen scheint: „Die Wucht der ganzen Erzählung liegt hier [„Die Rache
der Vizegräfin"], wie mit Vorliebe bei Heyse, in der Katastrophe, die somit
in den meisten Fällen die Höhe der Novelle darstellt, doch bildet sie kaum
jemals das Ende der Novelle!); mehrfach folgen noch in völlig undra-
matischer Weise längere Stellen rein epischen Charakters, die an die Katastrophe
unmittelbar anschließende Dinge berichten, etwa noch neue Bestätigungen für das
Vorhandensein der Katastrophe herbeiführen ... Ist die Katastrophe nicht schon
durch ein solches Absplittern an ihrem Komplex undramatisch geworden, so ge-
schieht das aber durchaus in der Mehrzahl der Novellen durch einen der Kata-
strophe angehängten Absatz, der gewissermaßen die Aufgabe hat, die im Leser
durch die Darstellung erregender Ereignisse in der Katastrophe aufgepeitschte
Phantasie zur Ruhe zu bringen. So schließen die Heyseschen Novel-
len alle mit einem sanft verklingenden Ton, die Spannung
schwingt allmählich aus, nie findet sich am Schlüsse meh r2)
Gewaltsames, E r s c h ü 11 e r n d e s"s) (S. 31 f.). Hier ist also genau das
Gegenteil von dem, was Z. an seiner Beispielsnovelle hervorhebt, als für Heyses
Novellenstil typisch hingestellt. Und wenn aus diesem Vergleich auch für Quadt
folgt, daß seine typische Darstellung eben doch nicht alle Novellen Heyses trifft,
so ist für Zincke trotz der eigenen Einschränkung seiner Darstellungsabsicht doch
nicht zu leugnen, daß an dieser Stelle — und ähnlich geschieht es auch noch an
anderen — der Leser bei ihm irregeführt wird, indem er auf Grund der Darstel-
lung Züge als irgendwie für Heyses Novellentechnik typisch nimmt, die mehr
nur zufälliges Kennzeichen einer einzelnen Novelle sind.

Vermittelt also Z.'s Darstellung bei höchst treffender Kennzeichnung einer
Heyseschen Novelle keine genaue Vorstellung weder von Heyses Novellenstil über-
haupt, noch auch nur von typischen Merkmalen einer größeren Gruppe Heyse-
scher Novellen, so muß man seinen umfangreichen allgemeinen Ausführungen zur
kunstwissenschaftlichen Betrachtung und Beurteilung von Dichtungen im wesent-
lichen zustimmen. In der Tat bestehen noch immer weitverbreitete Unsicherheit
und Unwissenheit in der Kenntnis dichterischer Technik bei den Schaffenden nicht

!) Von mir gesperrt.

2) Das „mehr" hat hier, wie schon aus dem vorhergehenden „nie" hervorgeht,
nicht temporal-relativen Sinn, sondern steht für „noch".

3) Von mir gesperrt.
 
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