Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

DOI Artikel:
Kleinenberg, Victor von: Zum Geheimnis der Mediceergräber
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0142
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
128

VICTOR VON KLEINENBERG.

Wollust verbohrt er sich in alte Vorstellungen, die seinen Schmerz zu
immer größerer Intensität steigern können, mit zäher Grausamkeit läßt
er keinen Gedanken aufkommen, der ihn zu trösten geeignet wäre. Die
Umwelt ist ins Gestaltlose zerfallen und hat für ihn aufgehört zu exi-
stieren. Da steigt das Licht des Tages seiner Höhe entgegen, immer ge-
waltiger strömen seine Energiewellen, immer lauter und dringender ent-
faltet sich um den Trauernden der Lärm des tätigen Tages mit seinen
unerbittlichen Anforderungen an jeden Einzelnen. Der Hunger der Kin-
der schreit nach der untätigen Mutter, die Pflicht des Berufes pocht ver-
nehmlich an das halbwache Bewußtsein des Mannes. Widerwillig ver-
nimmt der Geist die verhaßte Mahnung, doch immer zäher haftet im
Bewußtsein die Vorstellung von dem Zwange, ihr zu folgen: der Kopf
wird erhoben und mit anstrengender Spannung der Außenwelt zugewen-
det. Aus dunkler Tiefe des Bewußtseins bohren sich die Augen in die
Umwelt und suchen ihr wieder Sinn und Form zu geben, die das form-
lose Antlitz noch als völlig verloren aufzeigt. In breiter, schwerer Masse
liegt das Haar tief in die Stirn, als hätten die Götter das eiserne Band
des Wahnsinns um sie geschmiedet. Langsam, aber stetig sammelt sich
eine Energie des Willens zum Aufstehen. Willig ist zwar schon der Geist,
aber das Fleisch ist schwach, die leise Körperdrehung versagt, das er-
hobene Bein erlahmt auf halbem Wege. Aber mit zäher Ausdauer stei-
gert der Geist den Willen zur Tat, zum Aufstehen — und nun scheint
sich von daher ein Strom gewaltiger Energien in die mächtigen Glieder
zu ergießen: die Muskeln schwellen unheimlich an, die Spannungen
wachsen ins Katastrophale. Aber gerade jetzt ist in die Spannungen
auch die leichteste Lösung vorgebaut. Es bedarf nunmehr einer einzigen
Bewegung, die hinreichend ist, sobald die Energie für ihre Auslösung
erreicht ist. Es sind die Hand und der rechte Arm, die die Entscheidung
tragen. Sobald die Zwangsvorstellung „Wirf ab, Herz, was dich krän-
ket" zu völliger Klarheit kommt, wird Hand und Arm mit furchtbarem
Ruck nach vorne geschleudert werden können, mit dem Erfolge, daß die
Gestalt sich nicht erst allmählich erhebt, sondern momentan schon auf
die Füße zu stehen kommt. Alle Spannungen sind gelöst, der Mann
dem Wirken des Tages wiedergegeben, und die lähmende Macht der
Todestrauer durch die Macht der Energiequellen des Tages sieghaft ge-
brochen.

Konnte eine Kraftentfaltung, wie sie dieser seelische Prozeß voraus-
setzt, anders als an einem Manne dargestellt werden, und zwar an einem
Manne des reiferen Alters mit geradezu herkulischen Möglichkeiten?
Ungeheuer schwer war der Kampf gegen die so zähe festgehaltene
Trauerlähmung. Aber ist nicht die zähe Energie einer zwar langsam
 
Annotationen