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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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Kleinenberg, Victor von: Zum Geheimnis der Mediceergräber
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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0147
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ZUM GEHEIMNIS DER MEDICEERGRÄBER.

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ständig. Gewaltige Energiewellen vibrieren durch die mächtigen Glie-
der: die hohle Spannung des Rückgrats drängt die Brust breit und offen
herausfordernd der Welt des handelnden Tages entgegen. Der Kopf
sitzt stolz und kraftbewußt auf dem gestrammten und doch biegsamen
langen Halse. Im Hinterhaupt verkürzt, drängt er alle Schärfe der Be-
obachtung, alle Energie eines brutalen Willens in die breite, klare, von
keinem Helm beschattete Stirn (vgl. Moses). Er ist der vollendete Typus
jener gewaltigen Kraftmenschen, jener Fürsten und Päpste, Staatsmän-
ner und Söldnerführer, wie sie vor allem Italien so zahlreich hervor-
gebracht hat. Herrlich in der Rücksichtslosigkeit ihres brutalen Willens,
in der ungeheuren Konzentration ihrer geistigen und körperlichen Ener-
gien, war doch oft ihr Wirken mehr lebenzerstörend als aufbauend, weil
ihrer Natur zum schwebenden Ausgleich das kontemplative Moment ver-
sagt war. Auch unser Giuliano sitzt da als Feldherr, der mit Schwert
und Geld, mit Gewalt und Bestechung zu siegen gewohnt ist, klug den
Dämon der Grausamkeit und Habsucht in seiner Brust verbergend, den
der Schmuck seines Panzers drohend verrät. Da hat etwas Gefahr-
drohendes, vielleicht nur eine kleine Bewegung, ein leiser Laut seine
immerwache Aufmerksamkeit erregt. Ein leichter Ruck in der linken
Schulter, eine schnelle, leichtgespannte Drehung wendet den Kopf in
furchtloser Haltung, aber mit scharfer Beobachtung dem erregenden Ob-
jekte zu. Schon setzen die Beine zur Sprungstellung an, schon öffnen
sich die Finger der Rechten, — da ist auch schon blitzschnell der Weg
vom Denken zum Handeln gefunden: explosiv brechen die gesammelten
Energien aus, er schnellt auf, und der geschwungene, neue Kräfte ent-
fesselnde Feldherrnstab verbürgt den Sieg.

Überblicken wir den Gang unserer vorigen Betrachtung, so mag
gegenüber den unbefriedigenden Deutungen früherer Erklärer manches
Wesentliche gewonnen sein. Da haben wir zunächst eine den ganzen
Denkmalgedanken beherrschende einfache, klare und tiefgründige Idee:
die beiden kleinlich unbedeutenden Mediceer sind zu Repräsentanten
jener polaren Urtendenzen geworden, die als Energiespannung und
Energielösung den ewigen Wellenschlag des kosmischen Lebens begrün-
den. So bilden die beiden Hauptfiguren das erhabene Leitmotiv, von dem
ausgehend das Thema in das Gebiet menschlicher Spannungen und
Lösungen getragen wird, wo das erschütternde Problem des Todes als
eines scheinbar endgültigen Kraftverlustes in die Erfahrung tritt. Die
vier Sarkophagfiguren stellen vier in sich gleichwertige charakteristische
seelische Komplexe dar, die, variiert nach Alter, Geschlecht und Tem-
perament und als Erlebnisse des Beschauers gedacht, mit den vier Haupt-
phasen der Zeit fortschreiten und so eine Entwicklung aufzeigen: die
polaren Kräfte der Natur verhelfen der sich ihnen willig hingeben-
 
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