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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0215
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BESPRECHUNGEN.

201

solchen Fällen scheint mir sein Wille, Bedeutsames zu finden, ihn auch wohl zum
E r linder haben werden lassen.

Solche gelegentlichen Übertreibungen aus Liebe mindern jedoch nicht den Wert
des Buches, ein überzeugendes Bild des epischen Stils Meyers zu entwerfen und an
diesen Beobachtungen zugleich beiläufig höchst wertvolle Betrachtungsergebnisse für
epischen Stil überhaupt zu gewinnen. Mehr beeinträchtigen m. E. die Gesamt-
wirkung des Buches jene Erörterungen, in denen Everth die praktischen Beobach-
tungen am Phantom verläßt, um bewußt theoretischen Überlegungen nachzugehen.
Hier wird auch seine sonst bestimmte und eindrucksvolle, vom Gegenstand her
vornehm beeinflußte Sprache merklich unsicher und unbestimmt. Was er etwa über
die Unterschiede der Dichtungsarten, das Wesen des Epischen u. dgl. entwickelt,
wäre gut zu entbehren gewesen, zumal darüber schon ernsthaftere Untersuchungen
vorliegen. Das gilt vor allem auch von der Frage der Bildhaftigkeit dichterischer
Darstellung, die der Verfasser unter Hinweis auf Th. A. Meyers „Stilgesetz der
Poesie" (Leipzig: Hirzel 1901) umständlich aufgreift. Er teilt die ja weitverbreitete
Meinung, dichterische „Anschaulichkeit" sei gleichbedeutend mit visueller Bildhaf-
tigkeit, was m. E. ein logischer Prüfung nicht standhaltendes Vorurteil ist1). So
übersieht Everth, daß man etwa Gebärden ihrem Sinngehalt nach voll erfassen
kann, ohne sie doch zu „sehen", wie er bestimmt nicht glaubhaft machen wird, daß
man eine Gebärde „sehen" könne, ohne auch die sich in ihr „gebärdende" Person zu
„sehen", was mangels der notwendigen Angaben des Dichters doch in der Regel
verlangt wäre.

Doch sollen diese Bedenken gegen des Verfassers allgemeintheoretische Be-
trachtungen nicht sein Verdienst um klare Erkenntnis und Würdigung von C. F.
Meyers epischem Stil schmälern, die bedeutend genug sind, sein Buch als für die
Erfassung von Meyers epischem Werk maßgebend erscheinen zu lassen.

Greifswald. Kurt Gassen.

Adolf von Hildebrands Briefwechsel mit Conrad Fiedler.

Hrsg. von Günther Jachmann. M. 16 Taf. Dresden: Jeß (1927). 366 S.

Wie der Herausgeber in seiner dankenswert schlicht und sachlich gehaltenen
Einleitung leider mit Recht sagt, ist das Werk Hildebrands in unseren Tagen un-
modern. Originell um jeden Preis will die erdrückende Mehrzahl der Künstler sein
und nach Sensation um jeden Preis verlangen die breitesten Schichten des Publi-
kums. Das ist ein denkbar ungünstiger Boden für eine Kunst wie die Hildebrands,
die bei allem inneren und rein künstlerischen Wert klar ist, wo man heute das Un-
klare bevorzugt, die sich einfach gibt, wo man Kompliziertheit als solche schätzt,
die bescheiden ist, wo die Eitelkeit Orgien feiert, und die in ihrer schlichten, starken
Sachlichkeit unproblematisch bleibt — die Problemlosigkeit der Natur oder der ganz
großen Leistung —, wo die Problemsuche und Problemsucht Forderung des Tages
ist. Wenn trotz dieser Zeitfremdheit Hildebrands sein hier in Auswahl vorgelegter
Briefwechsel mit Conrad Fiedler dennoch in weiten Kreisen Anteil finden wird, so
darum, weil biographische Dokumente jeder Art heute gesucht und geschätzt wer-
den. Und in Wahrheit sind diese Briefe ein hervorragendes Denkmal edlen Men-

a) Zu dieser Frage vergleiche man jetzt Bosch, Rudolf: Die Problem-
stellung der Poetik. Eine historisch-kritische Untersuchung über die Methoden und
Grenzen wissenschaftlicher Wertbestimmung. Leipzig: Voss 1928. („Beiträge zur
Ästhetik" 18.)
 
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