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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0221
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BESPRECHUNGEN.

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daher geeignet, die Situation, in der sich gegenwärtig die Ästhetik befinde, zu
beleuchten und Klarheit über den Unterschied und die Leistungsfähigkeit der beiden
Arten von Ästhetik zu bringen.

Für die Ehre, die mir damit angetan wird, eine ganze Richtung der Gegen-
wartsästhetik in ihrer Berechtigung wie in ihren falschen Ansprüchen in typischer
Weise zu repräsentieren, muß ich danken. Ich erhebe in meinem „Stilgesetz" den
Anspruch nicht, kunstschöpferisch oder kunstkritisch zu wirken und neue Wert-
setzungen in der Poesie zu schaffen. Nach meiner Überzeugung bestehen die von
Lessing, Vischer und andern aufgestellten poetischen Werte zu Recht und die
Klassiker sowie die ihnen folgenden Dichter haben sie mit instinktiver Sicherheit
in ihren poetischen Darstellungen wirksam gemacht. Ich teile in meinem Buch die
Anschauung Boschs vollständig, daß die wertsetzende Ästhetik zu ihren Resultaten
nicht durch begriffliche Erkenntnis, sondern durch Intuition gelangt. Gleich in der
Vorrede (S. IV) spreche ich es aus, daß ich „die besondere Art in der die Poesie
in ihrem Teil der gemeinsamen Absicht der Kunst gerecht wird, aus der
Natur der Sprache und der sprachlichen Vorstellungstätigkeit als dem dafür maß-
gebenden Gesetz ableiten" möchte. Ich erkenne also ein aller Kunst zugrunde lie-
gendes gemeinsames Wertästhetisches an, das ich als aus Intuition gewonnen vor-
aussetze und nirgends aus psychologischen Tatsachen abzuleiten suche. Natürlich
kann ich in einer Sonderabhandlung, die davon handelt, wie dieser Wert durch die
sprachliche Kunst der Poesie verwirklicht werden könne, keine allgemeine Ästhetik
geben. Ich deute die Ergebnisse der allgemeinen wertsetzenden Ästhetik daher nur
an, soweit sie für meine Untersuchung in Betracht kommen. Ähnlich wie Bosch,
der als die maßgebende Forderung für die wertsetzende Ästhetik die der Erlebnis-
tiefe bezeichnet, erkläre ich als die gemeinsame Aufgabe der Kunst „Leben als
solches" darzustellen. (S. 20 und ausführlicher S. 144—146.) Man mag diese Auf-
fassung des ästhetischen Wertes für falsch halten, aber an der Tatsache, daß ich
eine von jeder Induktion unabhängige intuitive Wertästhetik zugestehe, kann man
nicht zweifeln. Deshalb erkenne ich auch die metaphorische Berechtigung des aus
der wertgebenden Ästhetik stammenden Begriffs Phantasieanschaulichkeit immer
wieder an. Z. B. S. 8, 59 usw. „Es kann niemand", heißt es S. 8, „und am wenig-
sten mir einfallen, der Poesie Anschauung abzusprechen, sofern man das Wort in
einem geläufigen übertragenen Sinn nimmt." Und meine ganze Abhandlung be-
zweckt nichts anderes als darzustellen, wie die Dichtung die Anschaulichkeit, die
im übertragenen, wertästhetischen Sinn von ihr verlangt werden muß, erreicht, ob-
wohl ihr im wörtlichen Sinn Phantasieanschaulichkeit auf Grund der Beschaffenheit
ihres sprachlichen Mittels nicht zukommen kann.

Aufgabe der Ästhetik ist es, die intuitiv erkannten, aus den Kunstwerken
erschlossenen Werte begrifflich zu umschreiben und zu deuten und des weiteren zu
zeigen, wie jede Kunst dem allgemeinen ästhetischen Wert nach der Seite und in
der Weise gerecht wird, wie es ihr Mittel gestattet und verlangt. Tut man das
letztere, so kann man unmöglich neue Wertsetzungen oder neue Mittel zur Kritik
schaffen wollen, man sucht vielmehr zu erkennen, in welchen Formen sich die in
der allgemeinen Ästhetik aufgestellten Werte in der besonderen Kunst, von der man
handelt, auf Grund der psychologisch-wissenschaftlich begriffenen Beschaffenheit
des jeweiligen Darstellungsmittels gestalten.

Diese Doppelaufgabe der Ästhetik hat meines Erachtens Bosch nicht erkannt,
und deshalb klafft bei ihm zwischen Wertästhetik und wissenschaftlich-psychologi-
scher Ästhetik eine unüberbrückte Kluft. Ich kann daher seiner breitgehaltenen
Abhandlung nur die Bedeutung zuerkennen, daß sie den Unterschied zwischen
 
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