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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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Schmarsow, August: Vom Organismus unserer Kunstwelt
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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0226
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AUGUST SCHMARSOW.

verleitet uns nur die Vorherrschaft unseres Gesichtssinnes, vermöge deren
wir auch Formen der Sichtbarkeit und Sichtbarmachung heißen, was der
zeitlichen Auffassung unterliegt und durch hörbare Versinnlichungsmittel
allein uns zugänglich wird, d. h. wo es sich um völlig unsichtbare Er-
lebniswerte handelt.

Was Cassiier ideale Sinngebungen und Symbole nennt, das habe ich
deshalb lieber als „Auseinandersetzungen des Menschen mit der Welt, in
die er gestellt ward" bezeichnet, um vor allem die Aktivität zu betonen. Die
„Welt", von der wir reden, wird ja wohl nicht „aus der Welt zu schaffen"
sein, und wird nicht erst vom menschlichen Ich erschaffen. Der mensch-
liche Geist aber schwebt nicht in der Luft, sondern lebt und webt in einem
Menschenleib. Alle Künste, die der Mensch aus sich hervorgebracht hat,
beginnen notwendigerweise ganz bescheiden vom Organismus des mensch-
lichen Leibes aus, aber sie sind mir „Auseinandersetzungen mit der Welt,
wie es sein Streben nach Erkenntnis und nach Gesittung, seine Wissen-
schaft und seine Ethik auch sind", — und damit ist ihre Anwartschaft
auf höhere Entwicklungstufen deutlich genug ausgesprochen. Bevor sie
sich zur kühnen Eroberung der Weltweite aufschwingen, bleiben sie in
ihrem Grundstock befangen.

Da sie alle einem organischen Lebewesen entstammen, gilt für sie das
nämliche Gesetz, das Cassirer am Schluß seiner Betrachtung (S. 37) auf-
gedeckt hat: „Sie alle treten nicht sogleich als gesonderte, für sich seiende
und für sich erkennbare Gestaltungen hervor; sondern sie lösen sich erst
allmählich von dem gemeinsamen Mutterboden los". Ich unterschlage
nur das letzte Wort „des Mythos", der als Urquelle gesetzt wird; denn ich
habe schon ein anderes noch gar nicht geistiges dafür eingesetzt. „Alle
Inhalte des Geistes, so sehr wir ihnen systematisch ein eigenes Gebiet zu-
weisen und ein eigenes autonomes „Prinzip" zugrunde legen müssen, sind
uns, rein tatsächlich, zunächst nur in dieser Verflechtung gegeben", —
wie der menschliche Organismus sie mit sich bringt.

I.

Die aufrechte Haltung mit dem Kopf auf der Höhe, in dem sich die
überlegenen Sinnesorgane des Gesichts und Gehörs mit den lebenswich-
tigen des Geruchs und Geschmacks zusammenfinden, muß schon einen
Vorzug gewährleisten, der die Stellung in der Umwelt entscheidet. Aber
auch die Gliedmaßen der Fortbewegung und des Umsichgreifens haben
ihre wesentlichen Beiträge zu liefern, und die Abhängigkeit aller vom Sitz
der Ernährungs- und Vermehrungsfunktionen wird sich in der ganzen
Einheit nicht verleugnen. Die Auseinandersetzung mit der Nachbarschaft
beginnt vom eigenen Körper, d. h. mit Druck und Stoß gegen alles, was
seinen im Ganzen ausgebreiteten Tastsinn herausfordert. Denken wir uns
 
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