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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0301
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BESPRECHUNGEN.

287

schaff. Ich glaube nicht, daß man Goethe einen Christen nennen darf, wohl aber,
daß er allmählich in die Nähe der Mystik geraten ist; und was die Beziehung zwi-
schen dem einzelnen und der Gemeinschaft angeht, so hat Goethe keine gleich-
bleibende Theorie hierüber, vielmehr nur die Eigenart, daß er regelmäßig den Ein-
zelnen als Wirklichkeit faßt, während ihm die Gemeinschaft ein Ideal bleibt. —
Es schließen sich an Untersuchungen über „Goethe und die Kunst". Sehr richtig
bemerkt Petsch, daß Goethe kein Ästhet war: „Alle Form ist ihm nur Ausdruck
des Wesentlichen ... Gestaltung eines Göttlichen." Andererseits unterschätzt er
das Spielerische in Goehes Kunstübung und deshalb auch die Versuche auf dem
Gebiet der bildenden Kunst (obwohl er sich hier auf eigne Äußerungen der Un-
zufriedenheit berufen kann). — Besonders ausführlich sind — naturgemäß — die
Abschnitte über die Dichtung. Sie beginnen mit einer schönen Kennzeichnung der
Goetheschen Wortkunst (zumal ihrer späten Vereisung), bringen dann eine Über-
sicht über die Gedichte — nach meinem Geschmack ist sie freilich zu historisierend
und zu stark mit Hinweisen auf Abliegendes belastet— und finden ihr vorläufiges
Ende in einer weit ausgreifenden Abhandlung über die Epik. Goethe wird als
episches Temperament bezeichnet: „Der Grundzug seines Lebens bleibt doch ein
ruhiges, wohlwollendes Beschauen der Fülle und Breite des Daseins." Mir per-
sönlich ist die „Campagne in Frankreich" immer sehr lieb gewesen und auch nach
unsern Kriegsberichten und Kriegserinnerungen lieb geblieben.

Der fünfte Band enthält den „Faust". Da ich selber Einleitungen zu beiden
Teilen der Tragödie geschrieben habe, so bin ich befangen in meinem Urteil über
die hier gebotene Erläuterung. Ich finde sie nicht einheitlich genug, auch unselb-
ständig; immerhin ist sie nützlich durch die Menge des zusammengetragenen Stof-
fes. Schließlich: wer will sich anmaßen, über den „Faust" das letzte Wort zu
sprechen? — Im allgemeinen hält Petsch den Dichter einer dramatischen Auf-
fassung und Wirklichkeitsdarstellung für fähig, obwohl er nach seinem innersten
Sein ein Epiker war. Seine Eigentümlichkeit sieht er darin, daß die äußeren Vor-
gänge nur als Anregungen und als Ausstrahlungen seelischer Wandlungen in
Betracht kommen. Vortreffliches wird gesagt über das Bühnenmäßige und das
Geistig-Dramatische, über die Linienseher und die Szenenseher („denen mehr an
der runden Herausarbeitung der Einzelheiten als an dem deutlichen Zusammenhang
des Ganzen gelegen ist"). Für mich ist entscheidend, ob jede Szene zwingend auf
die früheren wie auf die späteren hinweist; und hierin ist unser großer Bühnen-
dichter Schiller allen seinen Zeitgenossen überlegen gewesen.

Ich komme nun zu W a 1 z e 1 s Erläuterung des „Werther". Werther gehöre
in die Reihe nervöser Charaktere, deren größte künstlerische Formung im Hamlet
vorliege. „Goethe rückt als Mensch und als Dichter von solcher hamletartigen Hal-
tung ab. Auch durch die Gestalt, die er dem Roman gibt. Er berichtet wie ein
Unbeteiligter." Ist dies wirklich das unterscheidende Merkmal? Zeigt etwa Shake-
speare als Mensch und Dichter eine hamletartige Haltung? Des Rätsels Lösung
hat Goethe mit den Worten (des „Wilhelm Meister") gegeben: „Der Romanheld
muß leidend, wenigstens nicht im hohen Grade wirkend sein; von dem dramatischen
verlangt man Wirkung und Tat." Walzel selbst erkennt übrigens im Werther ein
Musterstück einmaliger Formung, „die in jedem Zug ein ihr und nur ihr inne-
wohnendes Gesetz bezeugt und befolgt", und er beschreibt das Gefüge aufs Tref-
fendste, gestützt auf Max Herrmanns Nachweisungen. — Beim „Urmeister" wer-
den stilistische Fragen im Sinne einer angewandten Poetik erörtert — wie es
nahe liegt; bei den „Lehrjahren" wird das Verhältnis zur „theatralischen Sendung"
(vergleichbar dem des „Faust" zum „Urfaust") geprüft; hinter den Titeln „Aufbau
 
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