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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0304
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BESPRECHUNGEN.

Zusammenhang als Ausdruck." Der Komponist lebt nicht im Reich der Gefühle,
sondern in der musikalischen Welt. „Das Genie ist eben das Leben in der Ton-
sphäre, als wäre sie allein da, ein Vergessen jedes Schicksals und jedes Leides in
dieser Tonwelt, und so doch, daß alles dieses darin ist." Ich mache die Leser ferner
aufmerksam auf die Abschnitte über die Biographie, namentlich soweit sie die
Lebensbeschreibung als Kunstwerk betreffen, und summarisch auch noch auf die
verstreuten Bemerkungen zur Hermeneutik. Der Ästhetiker kann in diesem siebenten
Bande wertvolle Anregungen finden.

Berlin. Max Dessoir.

Edmund Hildebrandt, Leonardo da Vinci. Der Künstler und sein
Werk. Mit 296 Abbildungen. Berlin 1927, G. Grotesche Verlagsbuchhandlung.
Was dies Buch auszeichnet, ist der Umstand, daß aus eigener Auffassung und
in persönlicher Darstellung das Lebenswerk Leonardos durchsichtig gemacht wird.
Nach Hildebrandts Überzeugung ist Leonardo trotz seiner ganz italienischen
Formensprache der germanischen Geisteswelt Goethes und Rembrandts nahe ver-
wandt; wenn wir Deutsche der Gegenwart danach trachten sollen, die beiden geisti-
gen Mächte — gewissermaßen den Apoll von Belvedere und den Isenheimer Altar —
in uns zur Einheit zu bringen, so gibt es keinen besseren Führer als Leonardo
da Vinci. Ein ungeheurer Reichtum an künstlerischen und wissenschaftlichen Lei-
stungen quillt bei ihm aus derselben Tiefe. Schon die Pariser „Madonna in der
Felsgrotte" — bewundernswert wiedergegeben nach den berühmten Aufnahmen
Alinaris — offenbart Leonardos Wesensart. Hildebrandt zeigt fein und überzeu-
gend, daß dies Pariser Gemälde dem Londoner weit überlegen ist; im allgemeinen
sind Hildebrandts Beschreibungen und Bilder stark psychologisch gefärbt, aber
auch genau, und manchmal von überraschender sprachlicher Schönheit. Die Früh-
werke überhaupt geben dem Verfasser Anlaß zu einer Betrachtung über „Ent-
lehnungen". Sehr richtig bemerkt er, daß es nicht auf die leere Tatsache einer
Entlehnung ankomme, sondern darauf, was aus dem Übernommenen gemacht worden
ist; derselbe Grundsatz gilt übrigens auch für die entsprechenden Vorgänge in der
Musik- und Literaturgeschichte. Aber nicht ganz kann ich Hildebrandt beipflichten,
wenn er sagt: „Leonardo trägt dies Motiv der innigsten Devotion und des hin-
reißendsten Wohlklangs einer Kopfneigung, das die Kunstgeschichte kennt, im
tiefsten Innern seiner Schöpferseele; es muß geradezu als das rhythmische Leitmotiv
seines gesamten Schaffens angesehen werden. Ganz absurd daher der Gedanke, er
könnte einen Gedanken von so fundamentaler Bedeutung aus fremder Quelle entlehnt
haben." Mir scheint es durchaus möglich, daß eine von anderwärts übernommene
rhythmische Führung zum eigensten Besitz und zum dauernden Antrieb eines bilden-
den Künstlers wird.

Nun zu Hildebrandts Behandlung des „Abendmahls" und der „Mona Lisa".
Das Historische, auch das Stilgeschichtliche, wird zurückgestellt; das Konstruktive
rückt an zweite Stelle, und zwar zugunsten einer in die seelischen Untergründe
sich versenkenden Betrachtungsweise. Zur „Cena" wird der Leser geleitet, indem
er Goethes über alle Maßen köstliche Schilderung liest und den Morghenschen
Stich vor Augen hat. Dann spricht Hildebrandt selber, zeigt Photographien des
Gemäldes und baut in ausführlichen Darlegungen vorsichtig ein Urteil auf. Das
Verständnis der „Gioconda" soll sich — was mir wunderlich scheint — mittels
eines Satzes aus Rosa Mayreders „Kritik der Weiblichkeit" öffnen. Mir ist es
zweifelhaft geblieben, ob der wundersame Zug um den Mund ein „Lächeln der
 
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