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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0306
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292

BESPRECHUNGEN.

finden, das die deutsche Kunst neben der Dichtung und Musik zu einem gegen-
wärtigen Faktor der deutschen Kultur macht?" Ist das Problem selbst so in an-
schaulicher Klarheit gestellt, so dürfte es dagegen schwer fallen, eine ebenso klare
und eindeutige, in sich widerspruchslose Antwort als Resultat all des fast leiden-
schaftlichen, mit restloser Hingabe durchgeführten Suchens herauszuarbeiten. —
Nach den Anfangserörterungen, die an Dürers großes Rasenstück in der Albertina
anknüpfen, mag es zunächst scheinen, daß der immanente Gegensatz zwischen
letzter Naturgebundenheit und einem unbegrenzten Schweifen in die Ferne den
Deutschen den bei anderen Völkern „wohlberechneten Abstand, in dem die Welt
sich dem Auge in klar umrissenen, festgefügten Bildern darstellt", nicht habe finden
lassen, „in dem die Kunst allein möglich wird". Es wird die Behauptung gewagt,
daß ohne die Berührung mit den südlichen Völkern und ihrer klaren Bildersprache
der Deutsche vielleicht überhaupt niemals zu einer Kunst gekommen wäre, da er
„dank seiner Verwurzelung in der Natur, nicht nur formarm, sondern geradezu
formfeindlich sei", da ihm das ewige, unendliche, nie vollendete, nie befriedigte
Ringen nach Form, die Flucht aus dem gestaltlosen Chaos, der faustische Drang
Spenglers von jenen Völkern unterscheide, denen die gerundete, gestaltete, fertige
Form gleichsam von Natur eigen, die, weil sie selbst Form sind, auch allen Dingen
Form mitteilten. Aber, um nur eins zu erwidern, ist Holbein, von dem der Ver-
fasser selbst sagt, daß der deutsche Holzschnitt, die „deutscheste aller Künste", in
ihm seine Vollendung gefunden habe, daß er zu einer Form des Porträts gelangt
sei, die allgemein abendländische Geltung erlangen sollte, daß er „der deutschen
Kunst eine absolut künstlerische Form gegeben hat", deshalb kein deutscher
Künstler? — Wie viele andre, die ähnliche Wege gingen, ist auch Chr., wie mir
scheint, der Gefahr erlegen, bei allem schillernden, vielfach variablen Reichtum
seiner Ausdrucksweise absolut gültige, abstrakte Formeln für wissenschaftliche
Beobachtungen prägen zu wollen, die sich ihrer Natur nach solcher absolutierenden
Schematik entziehen. So wird man dauernd zwischen bald mit einigen Fragezeichen
versehener, bald restloser oder gar bewundernder Zustimmung und skeptischer, hie
und da fast entrüsteter Ablehnung hin und her geschleudert. Was soll es, um nur
einige mir besonders charakteristisch scheinende Beispiele zu geben, anders als eine
allgemeine und deshalb nichtssagende Phrase bedeuten, wenn (S. 51) gesagt wird,
daß „Ausdruckswillen und Phantasie das Kunstwerk hervorbringen"? — Ist es
wirklich wahr (S. 65), daß die deutsche Kunst sich „in der Malerei an die fremden
Anregungen gehalten und nie den Versuch gemacht" habe, „die übernommenen Mittel
sich zu eigen zu machen"? Daß die deutsche Stadt sich durch „Erweiterung und
Gliederung" aus dem Dorf langsam entwickelt habe, entspricht, in dieser All-
gemeinheit gesagt, nicht der geschichtlichen Wahrheit, und all die z. T. sehr geist-
reichen Folgerungen, die daraus gezogen werden, ruhen daher auf brüchigem
Grunde. Es ist ferner einfach nicht wahr, daß die deutschen Kirchen keine Ver-
bindung mit dem städtischen Handel und Wandel gehabt hätten und den Strom des
Lebens fliehen; die Existenz der zahllosen Marktkirchen spricht allein schon ent-
scheidend dagegen. Hat wirklich gerade in Deutschland und nur in Deutschland
der Einzelne, der Kaiser, der Reformator, der Künstler das Schicksal des Volkes
auf sich genommen? (S. 171); gilt das gleiche nicht auch von Dante und Machia-
vell, von Cromwell und Napoleon? Daß die deutsche Kuns,t „nie" eine Karikatur
hervorgebracht habe, weil „diese Gattung sich an den Bestand der Gesellschaft
knüpfe, die kritistiert werden solle", kann doch nur dann als bewiesen gelten, wenn
man die niedere graphische Kunst, wie sie im 16. und 17. Jahrhundert blühte, ebenso
künstlich aus der Betrachtung ausschaltet, wie die ganze neuere Kunstentwicklung,
 
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