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MAXIMILIAN BECK.
Rede sein im Sinne einer immanenten Problementwicklung innerhalb der
Ästhetik als in sich geschlossener Wissenschaft. Vielmehr ist damit ge-
meint, daß die Ästhetik als philosophische Teildisziplin sich deshalb vor
neue Probleme gestellt sieht, weil die philosophischen Grunddisziplinen,
insbesondere die Ontologie und Erkenntnistheorie radikale Umwandlun-
gen erfahren haben.
Erkenntnistheoretisch ist das alte Entweder-Oder von Idealismus oder
Realismus aufgegeben zunächst zugunsten eines Korrelativismus
von Subjekt und Objekt, von „Bewußtsein" und Gegenstand. Sodann, nach
Zuendedenken und Überwindung der mit dem korrelativistischen Stand-
punkt wesenhaft verbundenen Antinomien, zugunsten eines realisti-
schen Perspektivismus (dessen Grundzüge ich im dritten Ka-
pitel meines Aufsatzes im Oktoberheft 1928 der „Deutschen Vierteljahrs-
schrift für Literaturw. und Geistesgesch." angedeutet habe).
Das ästhetische Phänomen läßt sich jetzt weder als bloßes Bewußt-
seinsphänomen deuten, also ohne jede objektive Existenz (Idealismus).
Noch kommt ihm objektive Existenz zu in voller Unabhängigkeit vom
kosmischen (insbesondere räumlichen), vom seelischen und historischen
Standpunkte des Menschen (Realismus). Schönheit existiert nicht bloß
in identischer Selbstherrlichkeit als etwas, das jeder Mensch, wann und
wo und wie und wer immer zu sehen vermöchte, sobald er nur die Sinne
auftut. Zur objektiv existierenden Selbstherrlichkeit der Schönheit gehört
vielmehr mit hinein die räumlich und zeitlich standpunktliche sowie die
seelisch standpunktliche Verschiedenheit der Menschen. Und erst durch
diese Schicht standpunktlich verschiedener Perspektiven hindurch,
i n und m i t dieser Schicht erscheint Schönheit. Das bedeutet: Eine objek-
tiv existente Schönheit läßt sich in der Regel nicht standpunktlos erfas-
sen. Dies aber nicht deshalb, weil die standpunktliche Perspektive eine
Weise des Bewußtseins wäre. Sondern: Perspektivische Abschat-
tung gehört mit zum Wesen gewisser Gegenstände. Die Perspektive ist
ein bewußtseinsjenseitiger Tatbestand. Perspektiven werden nicht vom
Bewußtsein gemacht, sondern vom Bewußtsein vorgefunden und
m i t e r f a ß t als objektiver Erscheinungsmodus der Gegenstände in ver-
schiedenen gleichfalls objektiven Relationspunkten ihrer selbst. Die Dinge
sind nicht bloß dort, wo sie selbst sind, sondern als perspektivische Ab-
schattungen auch dort, wo sie erscheinen. Solche objektive Relations-
punkte sind nicht nur örtlicher Art, sondern auch zeitlicher, menschlich-
geschichtlicher, seelisch-subjektiver Art.
Eingehende erkenntnistheoretische und ontologische Analysen des
Wesens der Perspektive sind ein außerordentlich dringliches Problem der
Ästhetik. Die räumliche Perspektive hat dabei nur die Bedeutung
eines geschichtlich sanktionierten Paradigmas. Der nur räumliche Sinn
MAXIMILIAN BECK.
Rede sein im Sinne einer immanenten Problementwicklung innerhalb der
Ästhetik als in sich geschlossener Wissenschaft. Vielmehr ist damit ge-
meint, daß die Ästhetik als philosophische Teildisziplin sich deshalb vor
neue Probleme gestellt sieht, weil die philosophischen Grunddisziplinen,
insbesondere die Ontologie und Erkenntnistheorie radikale Umwandlun-
gen erfahren haben.
Erkenntnistheoretisch ist das alte Entweder-Oder von Idealismus oder
Realismus aufgegeben zunächst zugunsten eines Korrelativismus
von Subjekt und Objekt, von „Bewußtsein" und Gegenstand. Sodann, nach
Zuendedenken und Überwindung der mit dem korrelativistischen Stand-
punkt wesenhaft verbundenen Antinomien, zugunsten eines realisti-
schen Perspektivismus (dessen Grundzüge ich im dritten Ka-
pitel meines Aufsatzes im Oktoberheft 1928 der „Deutschen Vierteljahrs-
schrift für Literaturw. und Geistesgesch." angedeutet habe).
Das ästhetische Phänomen läßt sich jetzt weder als bloßes Bewußt-
seinsphänomen deuten, also ohne jede objektive Existenz (Idealismus).
Noch kommt ihm objektive Existenz zu in voller Unabhängigkeit vom
kosmischen (insbesondere räumlichen), vom seelischen und historischen
Standpunkte des Menschen (Realismus). Schönheit existiert nicht bloß
in identischer Selbstherrlichkeit als etwas, das jeder Mensch, wann und
wo und wie und wer immer zu sehen vermöchte, sobald er nur die Sinne
auftut. Zur objektiv existierenden Selbstherrlichkeit der Schönheit gehört
vielmehr mit hinein die räumlich und zeitlich standpunktliche sowie die
seelisch standpunktliche Verschiedenheit der Menschen. Und erst durch
diese Schicht standpunktlich verschiedener Perspektiven hindurch,
i n und m i t dieser Schicht erscheint Schönheit. Das bedeutet: Eine objek-
tiv existente Schönheit läßt sich in der Regel nicht standpunktlos erfas-
sen. Dies aber nicht deshalb, weil die standpunktliche Perspektive eine
Weise des Bewußtseins wäre. Sondern: Perspektivische Abschat-
tung gehört mit zum Wesen gewisser Gegenstände. Die Perspektive ist
ein bewußtseinsjenseitiger Tatbestand. Perspektiven werden nicht vom
Bewußtsein gemacht, sondern vom Bewußtsein vorgefunden und
m i t e r f a ß t als objektiver Erscheinungsmodus der Gegenstände in ver-
schiedenen gleichfalls objektiven Relationspunkten ihrer selbst. Die Dinge
sind nicht bloß dort, wo sie selbst sind, sondern als perspektivische Ab-
schattungen auch dort, wo sie erscheinen. Solche objektive Relations-
punkte sind nicht nur örtlicher Art, sondern auch zeitlicher, menschlich-
geschichtlicher, seelisch-subjektiver Art.
Eingehende erkenntnistheoretische und ontologische Analysen des
Wesens der Perspektive sind ein außerordentlich dringliches Problem der
Ästhetik. Die räumliche Perspektive hat dabei nur die Bedeutung
eines geschichtlich sanktionierten Paradigmas. Der nur räumliche Sinn