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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0363
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BESPRECHUNGEN.

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baus zu überblicken ist. Die Chronologie an sich vermag ich nicht als Grundsatz
der Geschichtsschreibung anzuerkennen ..." In weitem Umfange stimme ich also
mit Pinder überein, nur würde ich gern andere Umstände, namentlich die Be-
dingtheit des jeweiligen Geschlechts stärker betont sehen. Woher hat denn eine
Generation ihren „einheitlichen Problemcharakter", da doch zur Zeit ihres Heran-
wachsens Künstler auf verschiedenen Altersstufen tätig und vorbildlich waren?
Mit den einzelnen Künstlern und ihrer Zusammenfassung nach dem Gesichtspunkt
des Geburtsjahres kommt der Kunsthistoriker nicht aus.

Nun wird das von Pinder auch nicht bestritten. Er sagt z. B. selber, daß
es in der Kunst einen relativ stetigen europäischen Nationalcharakter gibt: China
oder Indien stellen nicht eine höhere oder tiefere Stufe eines allgemein menschlichen
Wesens dar, sondern ein anderes Wesen. Ebenso beständig sind Volks- und Stammes-
eigentümlichkeiten. Immerhin erscheint dem Verfasser eine Kunstgeschichte nach
den Altersklassen der Künstler jedem anderen Verfahren überlegen, „weil wir hier
näher an die Wurzeln des wirklichen Lebens gelangen" (was doch nicht ohne wei-
teres der Maßstab einer Kunstgeschichte ist), und weil hier der Begriff der geschicht-
lichen Zeit sich „in der fugierten Mehrstimmigkeit seiner Polyphonie klärt" (was
sowohl sachlich wie sprachlich höchst anfechtbar ist). Verdeutlicht werden diese
Sätze durch lehrreiche Beispiele. Manche davon dürften freilich beanstandet wer-
den. „Leonardo schlägt alle Mitgeborenen durch seine besondere Art, Linien sich
begegnen zu lassen. Diese verflochtene Linienbegegnung ist als solche auch das
Problem Botticellis." Ähnliche Aussagen treten mit großer Bestimmtheit des öfteren
auf und sind doch recht subjektiv.

In Pinders Buch folgt ein Exkurs über die Künste als Generationen. Da
ich zu diesem Gegenstand bereits früher Grundsätzliches gesagt habe (Zeitschrift
für Ästhetik XXI, S. 139), so erinnere ich nur an den Hauptgedanken in Pinders
Ausführungen. Es verhalte sich doch so, meint er, daß man bei „salischer" Kunst
mit Recht an Baukunst denkt, beim 13. Jahrhundert an Plastik, beim 15. Jahr-
hundert an Malerei. Die Tatsachen weisen auf „eine der Polyphonie der Generationen
sehr vergleichbare Polyphonie der Künste selber, die Vorstellung ihres verschiedenen
Lebensalters' und eines dadurch gesetzmäßig bedingten (für unsere Kultur gül-
tigen) Wechsels in der Führerschaft." Die Künste sind also zum gleichen Zeitpunkt
verschieden weit gealtert: heutzutage steht die symphonische Musik, d. h. die jüngste
Kunst, im Vordergrunde, während die älteste bereits fehlt, nämlich die „als naiver
künstlerischer Ausdruck wirksame Architektur." Steht dieser Satz in Übereinstim-
mung mit den Tatsachen? Ich muß es bezweifeln. Nur im allgemeinen kann ich
dem Verfasser beipflichten, wenn er eine Abfolge der Reifezustände, einen Wechsel
der Führerschaft lehrt. Von besonderem Wert scheinen mir die angeschlossenen
Ausführungen über das Verhältnis der sprachfreien zu den sprachgebundenen Schöp-
fungen des Menschengeistes. Leider werden sie weder zur letzten Durchsichtigkeit
gebracht noch in einem zwingenden Aufbau vorgeführt. Einzelnes darunter ist gut
gesehen und anregend, z. B. die generations-geschichtliche Verwandtschaft von Heb-
bel und Wagner (1813); „auch der realistische Humor von Dickens (1812), von
Reuter (1810) paßt vorzüglich in die Geburtslage zwischen Spitzweg-Daumier (1808,
1810) und Millet-Courbet (1814, 1819)." Solche Hinweise sind gewiß sehr dankens-
wert. Andere Gedanken hingegen leuchten mir keineswegs ein. Die bildende Kunst
soll mit der Philosophie in einer Weise verbunden sein, die schon durch die Sprache
angedeutet wird, nämlich durch die Worte „Weltanschauung" und „Anschauung der
Welt". Welch ungeschicktes Spielen mit Worten! Seit hundert Jahren hat doch der
Begriff Weltanschauung mit Anschaulichkeit nichts mehr zu tun. Lesen wir wei-
ter: „Wenn Generationen Naturvorgänge der Geistesgeschichte sind, so ist durch-
 
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