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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0101
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BESPRECHUNGEN.

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spezialistische Sammelarbeit auf naturwissenschaftlichem Gebiete viel weniger ver-
hängnisvoll, erscheint es doch schließlich unwesentlich, wer die Tatsachenfeststellun-
gen mitteilt, ob einer allein oder mehrere nebeneinander. Dagegen ist es bei einem
Sammelwerk kulturwissenschaftlicher Forscher fast unvermeidlich, daß es mehr
oder minder merkliche Gegensätze und Widersprüche enthält, die am Ende nur des-
wegen unbeachtet bleiben, weil heutzutage der Leser ebensowenig wie der einzelne
Verfasser die Darstellungsgesamtheit überschaut. Wenn man nun auch in Sammel-
werken allzu grobschlächtige Gegensätze wird zu vermeiden wissen, beispielsweise
nicht deutsche Geschichte in beliebigem Durcheinander von Royalisten, Republikanern
und Kommunisten wird darstellen lassen, so gibt es doch andere, wenngleich feinere,
so doch genug schwerwiegende Gegensätze, die jedenfalls das Entstehen eines ein-
heitlichen Gesamtbildes verhindern. Aus diesem Grunde wird man Sammeldarstellun-
gen kulturwissenschaftlicher Art mit Recht nur mit Mißtrauen begegnen und dem
resignierten Bedauern, daß große Gesamtdarstellungen aus der Feder eines Ver-
fassers augenscheinlich vergangenen Zeitaltern vorbehalten waren.

Solcherart des inneren Zusammenhangs entbehrend, ja im Sonderwesen ihrer
Einzelteile sich widerstrebend ist nun auch, es muß leider gesagt werden, die Sammel-
veröffentlichung „Epochen der deutschen Literatur", deren zweiter von Wolfgang
Stammler verfaßter Band mir zur Beurteilung vorliegt. Ihren I. Band schrieb Wolf-
gang Golther1), ihren III. Band Ferdinand Josef Schneider'-^), ihren V. Band Hugo
Bieber3); den IV. Band wird Franz Schultz schreiben, ihren VI. Band Hans Nau-
mann4). Größte Gegensätze von Artung und Denkweise sind hier in den ver-
schiedeneil Verfassern unbedenklich zum Dienste an einem Gesamtwerke ver-
eint; vielmehr eben nicht vereint, sondern nur nebeneinandergestellt. Wie die
Verfasser verschiedenen Generationen angehören, so müssen auch notwen-
digerweise ihre künstlerischen Erlebnis- und Wertungsweisen grundverschieden
sein. Das würde nicht stören, wenn man Bedacht genommen hätte,
Autoren etwa gleicher Denkweise für das Unternehmen zu gewinnen. Ein Ge-
schichtsbau indes, der auf Golther gründet und in Naumann gipfelt, muß klärlich
der Einheitlichkeit entbehren. Der Herausgeber der „Epochen", Julius Zeitler, hätte
wohl erwägen sollen, ob die von einem Golther begonnene Geschichte vielleicht nicht
besser durch einen v. d. Leyen beendet worden wäre. Man halte nur Naumanns
Darstellung der gegenwärtigen deutschen Literatur neben die v. d. Leyens5), um die

Mantegnas Christusfigur (Mailand, Brera), gesehen in der Verkürzung über die Fuß-
sohlen hinauf zum Kopf. Verschiedene Einstellungsmöglichkeiten: „zeichnerisches
Bravourstück" (Voll), „abschreckende Künstelei" (Meder), beabsichtigte „Ent-
göttlichung der Heilandsgestalt" (Jantzen). Für die Wissenschaft wichtig also
weniger die Tatsache als die Deutungen, wenn auch natürlich in philosophischer
Überlegung nur eine Deutung die richtige sein kann. Nur ist in zahllosen Fällen
der Kulturwissenschaften solche Tatsachenbestätigung einer der Deutungsmög-
lichkeiten, die dann die übrigen beseitigte, eben nicht zu erlangen.

0 „Die deutsche Dichtung im Mittelalter 800—1500." Stuttgart 1912. 2. Auf-
lage 1922.

2) „Die deutsche Dichtung vom Ausgang des Barocks bis zum Beginn des
Klassizismus 1700—1785." Stuttgart 1924.

3) „Der Kampf um die Tradition. Die deutsche Dichtung im europäischen
Geistesleben 1830—1880." Stuttgart 1928.

«)„Die deutsche Dichtung der Gegenwart 1885—1923." Stuttgart 1923. 2. Auf-
lage. 1885—1924. 1924; 3. erw. Auflage. Vom Naturalismus bis zum Expressionis-
mus. 1927.

5) „Deutsche Dichtung in neuer Zeit," Jena 1922; 2. veränd. Auflage 1927.
 
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