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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0199
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BESPRECHUNGEN.

183

Kann nun die vergleichende Einsicht in solchen Wechsel, solche Verschiedenheit
der Beurteilung für die beurteilten Kunstwerke, Künstler, Kunstepochen nur dadurch
belangvoll sein, daß sie dieselben vielseitiger und immer vollständiger kennen lehrt,
so ist sie doch äußerst wichtig für die geistesgeschichtliche Erfassung der urteilen-
den Menschen und Zeiten. Dadurch, daß sich Urteilssubjekte, ein Mensch oder eine
Zeit, zu den als solche gegebenen Urteilsobjekten, den Kunsttatsachen, so oder so
urteilend verhalfen, eröffnen sie wichtige Einblicke in das eigene Wesen. So sind
die Kunstobjekte der Maßstab, an denen Urteilssubjekte entscheidende Züge des
eigenen Wesens enthüllen und entwickeln. Sind nun die in Frage stehenden Urteils-
subjekte zugleich selbst Künstler und in derart hohem Maße Glieder einer be-
deutenden Geistesepoche, wie die in vorliegender Schrift behandelten Romantiker,
so kann es nicht ausbleiben, daß die Ergebnisse vielseitig genug und sachlich höchst
belangvoll sind.

In der Tat hat Rosine Calsow mit ihrer Schrift, die der philosophischen
Fakultät in Münster als Dissertation vorgelegen hat, einen wertvollen Beitrag zur
Psychologie und Geisteshaltung der älteren Romantiker geliefert, indem sie deren
bildkunstkritische Äußerungen einer eindringenden Analyse unterzog. Sie beschränkt
sich dabei auf die beiden Schlegel, Tieck und Wackenroder, neben denen nach der
Verfasserin eigener Meinung schon Novalis, Dorothea und Karoline Schlegel kaum
in Betracht kämen. Und auch von den vier Hauptzeugen werden nur Äußerungen
der Jahre 1796 bis 1805 berücksichtigt, da eben nur die f r ü h romantische Bild-
kunstkritik — und zwar Kunst k r i t i k, nicht Kunst t h e o r i e — beleuchtet wer-
den soll. Zuweilen möchte man wohl zur Bereicherung des Bildes Vergleiche zur
Kunstkritik einerseits etwa Lessings und Goethes, andrerseits der späteren Roman-
tiker gezogen wünschen, doch muß man der Verfasserin zugeben, daß ihre selbst-
gezogene Begrenzung ein geschlossenes Ergebnis fördert. Eine andere sachliche
Begrenzung, das sei hier beiläufig bemerkt, liegt in dem vorhandenen Zeugnis-
material selbst insofern, als den Romantikern nur ein gewisser, ziemlich enger
Kreis von Kunstwerken überhaupt bekannt war, so daß man schon aus diesem
Grunde bei ihnen etwa eine umfassende Würdigung einzelner Künstler, die eben
doch Kenntnis ihres Gesamtwerks zur Voraussetzung hätte, nicht suchen darf.

Die Darstellung vorliegender Schrift nun sammelt ihre Einzelergebnisse um
einige Begriffe, in deren Abfolge, der auch mein Bericht sich anschließt, die wesent-
lichsten Eigenheiten frühromantischer Bildkunstkritik in höchst einleuchtendem
sachlogischeii Zusammenhange zum Ausdruck kommen. Einleitend wird die „Tole-
ranz" dieser Kritik betont, die in historischem Sinn jeder Kunsttatsache vom Boden
ihrer eigenen geschichtlichen Bedingungen aus gerecht werden will. Es wird die
Einsicht gewonnen, wie gefährlich, weil in historischem Sinne falsch, die Anwen-
dung des Vergleichs in der Kunstbetrachtung sei1). Als beherrschender Grundzug
frühromanfischer Bildkunstkritik, aus dem ihre weiteren kennzeichnenden Merkmale
zwangsläufig folgen, erweist sich sodann „die Betonung der Idee", „das Alle-
gorische". Die älteren Romantiker erblicken in den Kunstwerken durchweg Dar-
stellung, Verkörperung einer „Idee", sie sind bestrebt, „den Wert eines malerischen

Wicklung dargelegt: „Matthias Grünewald im Wandel der deutschen Kunstanschau-
ung" (1927); auch als Buch bei J. J: Weber, Leipzig 1927.

i) In meiner oben angeführten Schrift „Der absolute Wert in der Kunst"
(Greifswald: Bamberg 1921) habe ich Möglichkeit und Unmöglichkeit, Berechti-
gung und Sinnlosigkeit solchen Vergleichs rein theoretisch behandelt und zu den
verschiedenen möglichen Kunstbeurteilungs- und -wertungsweisen in Beziehung ge-
setzt.
 
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