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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Trojan, Felix: Zur Psychologie der Farben bei Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0249
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BEMERKUNGEN.

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getadelten Verhaltens wegen — Goethe mit einem gewissen Rechte zu ihren
Vorgängern zählen. So beruft sich auch David K a t z auf Goethes Äußerungen
über die schlichte Beschreibung der Farbenphänomene1). Gleichwohl wäre es ver-
kehrt, das Motiv, das Goethe veranlaßt hat, die N u g u e t sehe Theorie gegen New-
ton zu vertreten, letzten Endes in der Erkenntnis zu erblicken, daß es vom Stand-
punkt der Phänomenologie unmöglich sei, die Urfarben qualitativ aufzuspalten.
Denn wenn dies der Fall wäre, wieso hätte Goethe dann eine Lehre vertreten kön-
nen, die die getönten Farben aus der Schwarz-Weißreihe ableitet, was doch phäno-
menologisch gleichermaßen unmöglich ist? So sehr z.B. Ewald Hering die Be-
deutung der Schwarz-Weißreihe gegenüber den getönten Reihen zu heben sucht, an
eine solche Ableitung vermag er nirgends auch nur zu denken2). Die Beobachtung,
daß sich auch bei Nachbildern farbloser Eindrücke farbige Erscheinungen zeigen3),
konnte ebensowenig für Goethe eine unmittelbare Stütze seiner Theorie der physi-
schen Farben abgeben. Unzweifelhaft richtig dagegen ist es, wenn im Begriff des
Kontrastes die gemeinsame Grundlage beider Theorien und im „Prinzip der Stetig-
keit" der Grund gesucht wird, der Goethe veranlaßt hat, die physiologische Lehre
vom Kontrast auf die Theorie der physischen Farben zu übertragen4).

Welches sind nun aber die psychologischen Motive, die Goethes Farben-
theorie in ihrer Gänze zugrunde liegen? Um diese Frage zu beantworten, muß
man der Entwicklung des Farbensinnes bei Goethe überhaupt nachgehen und
die Farbenlehre darin als ein bloßes Glied betrachten lernen. Die richtige Ein-
schätzung der Motive ergibt sich dabei von selbst.

Das Material der Untersuchung wurde von vornherein beschränkt: es wurden
Goethes dichterische Darstellungen von Farbphänomenen nur soweit heran-
gezogen, als sie sich auf dem Boden seiner Lyrik finden. Dieses Material, das etwa
hundertundzwanzig Stellen umfaßt, dürfte das Grundsätzliche wohl erkennen las-
sen. Immerhin wäre eine spätere Untersuchung des Faust wünschenswert.

In der Farbendarstellung der Goethischen Lyrik herrscht nun von An-
fang an eine mehr oder minder durchgreifende Polarität. Ein leuchtendes oder
glänzendes Objekt, z. B. Sonne, Mond, Fackeln, Gold u. a., wird in Gegensatz ge-
stellt zu einem trüben Medium oder vielmehr zunächst — um mit Leonardo zu
reden — zu völligem Lichtentzug'). Dabei sei anmerkungsweise erwähnt, daß im
dichterischen Scharfen Goethes fast ausschließlich Raum- und Flächenfarben
herrschen, während Oberflächenfarben eine ganz untergeordnete Rolle spielen0).
Ein ähnliches Verhältnis läßt sich übrigens auch in der Theorie Goethes feststel-
len, wo die „Chemischen Farben" gegenüber den „Physiologischen" und „Physi-
schen" Farben in den Hintergrund treten. Die Bevorzugung der Raum- und Flä-
chenfarben erklärt sich am ungezwungensten durch eine habituelle Hinlenkung der
Aufmerksamkeit auf diese Erscheinungsweise der Farben, analog wie etwa nach

!) David Katz, Die Erscheinungsweisen der Farben und ihre Beeinflussung
durch die individuelle Erfahrung. Zs. f. Ps„ Erg. Bd. 7, Leipzig 1911, S. 29.

») Ewald Hering. Zur Lehre vom Lichtsinne. 6 Mitteilungen an die Kaiserl.
Akademie der Wissenschaften in Wien. 2. Abdr. 1878, und „Grundzüge der Lehre
vom Lichtsinn", Handbuch der ges. Augenheilk. (Graefe und Saemisch) - III. Bd.
Kap. XII.

») Zur Farbenlehre, Did. T. S. 16 (W.-Ausg. II. Abt., 1. Bd.).

") Karl Wesselv, Goethes und Schopenhaue s Stellung in der Geschichte der
Lehre von den Gesichtsempfindungen. Rektoratsrede, Berlin 1922, S. 22.

5) Ober Leuchten und Glänzen, s. Katz, a. a. O. S. 21 ff. und 27 sowie Bühler;
a. a. O. S. 143 und 157.

°) s. Katz, a. a. O. in der Einleitung und Bühler, a. a. O. A. 12 ff. und 53 ff.
 
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