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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Trojan, Felix: Zur Psychologie der Farben bei Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0250
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234

BEMERKUNGEN.

J a e n s c h die Richtung der Aufmerksamkeit auf den leeren Raum das Zwischen-
medium deutlicher und auch in seiner Färbung erkennen läßt1). Dies indes nur als
ein Vergleich. Der Unterschied zwischen dem Sehen äußerer Objekte und der
dichterischen Schau soll dadurch nicht verwischt werden. Die Bevorzugung der
Raum- und Flächenfarben ist emotional bedingt durch die Schätzung ihres von
Katz treffend hervorgehobenen") zarteren Charakters. Eine pathologische Deutung
im Sinne einer leisen Annäherung an die von A. Gelb untersuchten Fälle weise
ich natürlich von der Hand3).

Neben der Polarität der in Goethes Lyrik dargestellten Farbphänomene ist
noch ein zweites Moment für die Entwicklung von Goethes Farbensinn von beson-
derer Bedeutung. Es liegt darin, daß die Farbenwerte bei Goethe fast durch-
gehends Symbolcharakter besitzen. Und zwar lassen sich vor dem Einbruch der in
der Farbenlehre vorgetragenen Sätze vier solcher Symbolgruppen unterscheiden,
die in innigstem Zusammenhange mit den Farbenerscheinungen stehen, selbst polar
gegliedert sind und vermutlich entscheidend mitgewirkt haben, die phänomenal
oder auch physiologisch gegebenen Polaritäten herauszuarbeiten. An erster Stelle
steht eine religiös-sittliche, dann eine erotische, eine poetische und zuletzt eine
kulturphilosophische Antithese. Die einzelnen Phasen dieser symbolischen Ausdeu-
tung des Farbenerlebnisses greifen natürlich vielfach ineinander über. Gleichwohl
lassen sie sich in ihren Schwerpunkten hinlänglich scharf voneinander unterscheiden.

Nun noch einige literarhistorische Kulissen. Als frühe Voraussetzungen der
Goethischen Lyrik und ihrer Farbendarstellung sind vor allem drei Momente von
Bedeutung: erstens die seraphische Dichtung Klopstocks, die ihren welt-
anschaulichen Dualismus in vielfach extremen Graden von Helligkeit und Finsternis
symbolisiert. Zweitens der „Ossian" des Schotten Macpherson mit seiner Vor-
liebe für nebelbedeckte Landschaften und drittens endlich das philosophische
System, das Goethe selbst, angeregt durch Arnolds „Kirchen- und Ketzer-
geschichte", im Geiste des Neuplatonismus entwarf, als er, aus Leipzig heim-
gekehrt, in den Bereich pietistisch-mystischen Denkens gekommen war4). In die-
sem System steht der Begriff der Konzentration, der Materie, und alles dessen,
„was wir uns als schwer, fest und finster vorstellen", der Expansion und dem
Lichte gegenüber. Jenes wird durch Luzifer, dieses durch die Elohim repräsen-
tiert. Es ist von Bedeutung, daß schon hier, wie später im „Faust", nicht Licht
und Finsternis als metaphysische Urmächte, sondern Licht und Körper als das
Geschaffene auf eine Stufe gestellt werden5).

Der Stoff wird im folgenden nach den aufgezählten vier Symbolgruppen ge-
gliedert und in diesen werden die bezeichnendsten Beispiele angeführt.

I. Die religiös-sittliche Symbolik der Farben. Sie hat ihren
Schwerpunkt in den Jahren 1765 bis 1768. In den im Banne Klopstocks stehen-
den „Poetischen Gedanken über die Höllenfahrt Jesu Christi" (1765), V. 54 ff.,
versinnbildlichen „Glanz", „Licht" und „Strahl" das himmlische, „Dunkel-
heit" und „ewig finstre Nacht" das höllische Prinzip. Jenes bewirkt „Lust" und
„Glück", dieses „Qual" und „Pein". Zugleich wird die sittliche Weltordnung im

!) E. R. J a e n s c h, Über die Wahrnehmung des Raumes. Eine experimentell-
psychologische Untersuchung nebst Anwendung auf Ästhetik und Erkenntnislehre,
Zs. f. Ps. Erg., Bd. 6, Leipzig 1911, S. 284 ff.

2) s. Katz, a. a. O. S. 14.

A. Gelb, Über den Wegfall der Wahrnehmung von Oberflächenfarben, Zs.
f. Ps. 84 (1920), S. 193—257.

4) Dichtung und Wahrheit, Ende des 8. Buches.

5) „Faust", I. T. V. 1346 ff.
 
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