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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0259
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BESPRECHUNGEN.

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meine Kunstwissenschaft. 1. Aufl. 1906, S. 12, 15). Auch für Audra ist z. B. Piaton
der höchste Ausdruck des griechischen Ideals (S. 60 ff.). Auf Piaton geht, wie sich
zeigen wird, die eine Wurzel des seine Ästhetik und Kunstauffassung tragenden
Geistbegriffs zurück (S. 16, 70, 77), an Piaton lehnt er seinen Begriff der Kunst
des Wunderbaren (expression coloree du merveilleux S. 135 ff., 193 ff.) an (S.
137), in dem sich seine künstlerische Grundanschauung und seine ästhetischen
Grundbegriffe erfüllen. Wenn Audra dann betont: Der Künstler ist Philosoph, ohne
es zu wissen: il medile toujours (S. 9) — etwa der Typ von Cezanne und M. Denis,
so liest sich das wie eine Wiederholung aus Boileau (vgl. Dessoir a. a. O. S. 15;
ferner Baudelaire, L'art romantique: ... tous les grands poetes deviennent naturelle-
ment critiques, zitiert nach J. Maritain, Art et Scolastique 1927, S. 271). Schließ-
lich bezeichnet der Verfasser es als Notwendigkeit der Stunde „finir avec 1'imagerie
et renouer avec l'eternelle tradition classique" und begründet damit das Erschei-
nen seiner Ästhetik (S. 8). Geht das auch in erster Linie wohl auf ein besonderes
Moment seiner ästhetischen Formenlehre (Ausdruck und Komposition), so ist
darin doch auch, glaube ich, in- besonderem Maße inbegriffen der Zusammenhang
der Ästhetik mit der Philosophie.

Innerhalb der Geschichte der französischen Philosophie steht Audras philo-
sophische Welt deutlich im Gegensatz zum Sensualismus — vereinzelte Nachklänge
vielleicht S. 16, 35 — und in einem innern Zusammenhange mit dem französischen
Spiritualismus von Descartes über Pascal (zitiert S. 37, S. 260 vgl. mit Pensees,
edit. Drioux, 240), Maine de Biran, Ravaisson, bei dem, heben der Beeinflussung
durch Leibniz und Schelling, gerade das Ästhetische und zwar in betonter Be-
ziehung zum Geist hervortritt, Lachelier, Boutroux, Bergson (Intuition, Geist und
Leben s. S. 16 f., 69, 77, 73) und Maritain (La primaute du spirituel), mit dem
sich Audra in vielem berührt (Art et Scolastique, S. 20, 35, 36, 38, 39, 40, 44,
45, 51, 63, 69, 102, 106, 109, 114, 130, 132 usw. Abweichend dagegen besonders
S. 46, 103, 141). Audras Spiritualismus ist aber vorwiegend intellektualistisch. Die
emotionalen Elemente stammen nicht aus den Grundlagen des Systems, sondern
aus der Künstlerpersönlichkeit des Verfassers. Doch finden sich in dem intellek-
tualistischen Spiritualismus auch gerade für die Ästhetik bedeutsame mystische
Elemente, man mag an Rationalismus und Mystik bei Spinoza denken: la vie
cachee des choses (S. 9), la muette tendresse (S. 260), la mystique vision des
clartees essentielles (S. 259) als Gegenstand und Inhalt der Kunst, der Geist und
die Rhythmen der Dinge (S. 70, 135; z. v. 24) als ästhetische Grundbeziehung, der
Geist als der Gipfel der menschlichen Organisation (S. 182, 255), die Summe sei-
ner Psychologie zusammen mit der Lehre: Une meme üme fremit au coeur d'orga-
nisations fraternelles (S. 259). Auch mystische Elemente sind dem französischen
Denken nicht fremd, trotz des geschichtlich und ethnologisch angeborenen Ratio-
nalismus. Es seien außer schon Erwähnten etwa Fouillee und Guyau, der Ästheti-
ker, genannt (nach Rivista di Filosofia Neoscolastica Bd. XIX, 1927, S. 466. Die
skizzierte spiritualistische Linie (Pascal-Maine de Biran-Ravaisson-Bergson) in der
französischen Philosophie „wenig bekannt" und wenig wirksam s. Philosophi-
scher Anzeiger, Bd. II (1927), 1 S. 17 (1).

Sehe ich aber recht, dann steht diese Ästhetik mit Einschluß der sie tragenden
Philosophie der deutschen und der ihr voraufgehenden plotinischen spekulativen
Ästhetik, mit der kosmischen Ästhetik der italienischen Renaissance (S. 54, 259)
als Mittelglied, näher als der französischen Ästhetik des 17. Jahrhunderts, von der
nach Bäsch (Bericht des 1. Kongresses für Ästhetik, S. 32) die ganze rationali-
stische Ästhetik vorbereitet ist, und soweit ich sehen kann, auch näher alten Lehren
als der modernen französischen Ästhetik. Leibniz, Schelling und Schopenhauer mit
 
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