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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0273
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BESPRECHUNGEN.

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gen homerischen Originals. Blumauers Travestie der Aeneis gilt für Weimar nicht
mehr als Majestätsbeleidigung. Doch wird das Fortleben des römischen Epikers
durch eine im Laufe des 18. Jahrhunderts fortgehende lebhafte Übersetzertätigkeit
bezeugt. Auf diesem historischen Hintergrund behandelt die vorliegende Schrift
Schillers Übertragung des zweiten und vierten Buches der Aeneis (1791—1792),
dazu das Bruchstück einer 1780 erschienenen Hexameterübersetzung aus dem ersten
Buch. Eine gewissenhafte Vergleichung zeigt, daß Schiller seinen Vorgängern
durchaus nichts schuldet, wie überhaupt von einer Entwicklung der Aeneis-Über-
setzung im 18. Jahrhundert bis zu Schiller nicht die Rede sein kann. Einzig ein
Bruchstück Bürgers ist einheitlich dichterisch geformt. Schiller erst gelingt es,
vermöge eines verwandten Ethos, dichterischer Sprachkraft und idealistischer
Sprachhöhe aus dem Geiste des Originals heraus eine bei allen Mängeln echte, für
sich bestehende deutsche Form zu schaffen. Das Wagnis, den Strom des heroischen
Hexameters in die leichtere Form gereimter Stanzen zu zerteilen (worüber sich
Klopstock entsetzte) wird von der Verfasserin als im Ganzen gelungen, wenn auch
nicht als zur Nachahmung empfehlenswert beurteilt. Mit der Meinung, die wahre
Lösung möchte in einem Wechsel des Aletrums mit gelegentlichem Reim je nach
dem Stimmungsgehalt des Originals liegen, scheint sie mir allerdings ein bunt-
scheckiges und monströses Epos im Auge zu haben (171).

Während die ganze Druckbogen füllende genaue Vergleichung mit den da-
mals gebräuchlichen Kommentaren zu einem negativen Ergebnis führt, liegt, wie
mir scheint, der eigentliche Gewinn dieser methodisch vortrefflichen Arbeit in der
vergleichenden Interpretation der Übertragung an Hand des Originals. Hier zeigt
sich über den jedem zugänglichen allgemeinen Eindruck hinaus an einzelnen Pro-
ben, wie sehr auch eine sich eng an die Vorlage haltende Übertragung ihren Geist
dem Original unterschieben kann. Kleine aber wirkungsvolle und hier sorglich be-
obachtete Züge verraten, wie der Übersetzer seine ganze Teilnahme dem Helden
zuwendet, wie darüber (sehr im Gegensatz zu Bürgers Übersetzung) Dido und
ihre Liebe an Wahrheit verliert, wie sich der dualistisch-dramatische Ethiker ge-
legentlich verrät — z. B. in den Naturszenen, die in einen betonteren Gegensatz
zu dem Menschlichen treten —, wie endlich, und dies wiegt am schwersten, der
nationale Gehalt des römischen Epos ohne Wiederklang bleibt. Die prophetischen
Worte Hektors (2, 289 ff.), in denen Aeneas mit dem Amte des Bewahrers der
Penaten und des Gründers der neuen Stadt betraut wird, bleiben in Schillers
Übertragung kraftlos.

Berlin. Helmut Kuhn.

Jahrbuch der Kleist-Gesellschaft 1925 und 1926. Herausg. v. Georg
Minde-Pouet und Julius Petersen. Berlin, Weidmann 1927, 189 Seiten. (Schrif-
ten der Kleist-Gesellschaft 7/8.)

Dem Jahrbuch für 1923 und 1924, das ich in einem früheren Heft dieser Zeit-
schrift anzeigte1), läßt der Vorstand der Kleist-Gesellschaft nunmehr das für 1925
und 1926 folgen. Zwischen jenem und diesem liegen als „Schriften der Kleist-
Gesellschaft" 5 und 6 das Aktenmaterial über „Kleists letzte Stunden" (1925),
von Minde-Pouet herausgegeben, und ein kurzer Aufsatz desselben „Kleists poli-
tisches Fragment ,Zeitgenossen'" (1926) mit einer Faksimilenachbildung der Hand-
schrift. Das neue Jahrbuch erfreut wiederum durch eine gediegene Reichhaltigkeit,
die hinter den früheren keineswegs zurücksteht. Ob es sich nun um längere Auf-
sätze oder um kleinere Bemerkungen handelt, stets findet man einen belangvollen

i) Vgl. „Zeitschrift für Ästhetik". Bd. 20. S. 254 ff.

Zeitschr. f. Ästhetik u. alle. Kunstwissenschaft. XXIV.

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