Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0274
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
258

BESPRECHUNGEN.

Beitrag zu dem noch lange nicht erschöpften Thema Kleist, Material zu der um-
fassenden Darstellung, die noch immer aussteht.

Eröffnet wird die Beitragsreihe des vorliegenden Jahrbuchs durch den Abdruck
zweier Vorträge, des von Horst Enger t auf der Jahresversammlung der Kleist-
Gesellschaft 1925 in Dresden gehaltenen „Persönlichkeit und Gesellschaft in Kleists
Drama Prinz Friedrich von Homburg" und des von Robert Petsch auf der
Jahresversammlung 1926 in Berlin gehaltenen „Die Entwicklung der tragischen
Idee in der dramatischen Dichtung Heinrichs von Kleist". Enger t führt in sei-
nem Vortrage nach einer feinsinnigen theoretischen Gegenüberstellung von typi-
sierendem Idealismus und charakterisierendem Realismus aus, inwiefern Kleist der
Kunstrichtung des charakterisierenden Realismus zuzurechnen sei. Das wäre in
seiner entwicklungsgeschichtlichen Stellung im Werdegang des neueren deutschen
Dramas sowie auch in seiner persönlichen Eigenart und seinen Lebensschicksalen
bedingt. So wolle auch Kleists „Prinz von Homburg" nicht — typisierend ideali-
stisch — eine ein für alle Mal gültige Lösung des Konfliktes zwischen Persönlich-
keit und Gemeinschaft bieten, vielmehr — charakterisierend realistisch — „die
Entwicklung eines jugendlich unbesonnenen, nach Glück, wenn auch edlem, dür-
stenden Draufgängers zu einem seiner selbst und damit auch seiner Pflicht bewußten,
wahrhaftigen Helden ... in ihrer psychologischen Notwendigkeit dramatisch ge-
stalten". Nach Engert habe auch der Konflikt zwischen dem Prinzen und dem
Kurfürsten im Verhältnis zu dieser Hauptabsicht des Dichters „nur untergeordnete
Bedeutung", sei nur das Mittel, „durch das die heilsame Krisis im Innenleben des
Prinzen herbeigeführt wird". So beachtenswert und in Einzelheiten treffend E.'s
Ausführungen sind, so scheint mir das Homburg-Problem auch mit ihnen noch nicht
gelöst. — In weiterem Zusammenhange betrachtet Petsch in seinem oben genann-
ten Vortrag Kleists dramatisches Schaffen. Er untersucht Art und Stärke der Ideen
und Wertungen von Kleists Zeit, z. T. in Vergleich mit der vorangehenden Epoche
der Klassiker, und gewinnt so den Rahmen für die Ideen und Wertungen Kleists
und ihre Ausgestaltung zu den spezifisch tragischen Fragestellungen in seinen Dra-
men. Es ist ein in seiner Gedrängtheit höchst gehaltvoller Beitrag zum Verständnis
von Kleists Kunst, wohl die schwerstwiegende Gabe des Jahrbuchs. — Nach ihm
teilt Georg Minde-Pouet einige „Briefe von, an und über Kleist" mit, die be-
sonders für die letzte Berliner Zeit Kleists 1810/11 bedeutsam sind. Das gilt be-
sonders von dem 5 Druckseiten langen Schreiben Kleists an den Prinzen Wilhelm
von Preußen vom 20. Mai 1811. Die Briefe sind zum Teil schon früher veröffent-
licht worden, doch derart fehlerhaft, daß sich ihr Wiederabdruck an diesem Orte sehr
wohl rechtfertigt. Angesichts der beiden hier gebotenen Briefe von Kleist sei mir
die Bemerkung erlaubt, daß wie schon andere nach Abschluß meiner „Chronologie
der Novellen Heinrich von Kleists"1) bekannt gewordene Briefe, so auch diese
meine dort vorgetragenen sprachstatistischen Ergebnisse durchaus bestätigen. So
begegnen in Kleists großem Schreiben vom 20. Mai 1811 mehrere für seine späte
Sprechgewohnheit von mir als typisch festgestellten Wendungen: „a u f (gewisse)
Weise" (entgegen früherem „auf ... Ar t"), „Aber wie (groß) w a r", das
häufige „unter (der Andeutung)", „unter (dem allgemeinen, und völlig grund-
losen Vorgeben)". Ich bin aber geneigt zu behaupten: je mehr das von mir auf-
gestellte sprachstatistische Material durch neue Kleistfunde unwidersprochen bleibt,
desto fester gerechtfertigt sind auch die Folgerungen für die Chronologie der Dich-
tungen, die ich durch jenes Material zu begründen versuchte. — „Die Liebe in

1) Gassen, Kurt: Die Chronologie der Novellen Heinrich von Kleists. Wei-
mar: Duncker 1920. („Forschungen zur neueren Literaturgeschichte" 55.)
 
Annotationen