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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Urries y Azara, J. Jordán: Umschaffen und Nachschaffen in der Kunsttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0324
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BEMERKUNGEN.

lich-Technische, sondern das Innerste, die Seele des Werkes bieten. Kongeniale Be-
trachtung und gutes Verständnis des Werkes sind die einzige Vorbereitung für
eine gute Interpretation, in die nichts dem Werk Fremdes eindringt, so daß sich
dieses uns ganz offenbart. Der gute Interpret kann folglich nicht seine künstle-
rische Persönlichkeit zum Ausdruck bringen, da sie sich ja nicht offenbaren soll,
sondern die des Schöpfers selbst. Es wäre folglich irrig, zu behaupten, daß Musik-
interpretation dann Kunst ist, wenn der Interpret seine Persönlichkeit zur Gel-
tung bringt.

Ich glaubte, diesen Fall des Neuschaffens, wie auch den des Kopisten, aufklären
zu müssen, um der herrschenden Doppeldeutigkeit willen, an der oft selbst Men-
schen scheitern, die gute Kunstkenntnisse besitzen. „Wie kann man nur die großen
Musikinterpreten und Kapellmeister nicht als Künstler bezeichnen?", so hat man
mich oft gefragt; „sie beweisen doch mehr als bloße Fertigkeit; ist denn ihre
Arbeit im rein Technischen begrenzt? Kann man sie etwa mit Equilibristen und
Sportsleuten gleichstellen? Keinesfalls! Ihre Arbeit ist doch sehr hoch einzuschät-
zen und steht weit über jeder anderen, die nichts mit Ästhetik zu tun hat!" Trotz
alledem ist sie keine Kunstschöpfung, nur Kunstausübung. Musikinterpreten set-
zen ihre Seele bei der Interpretation ein und verdienen jede Achtung, weil die aus-
übende Kunst nicht etwas rein Äußeres ist, nicht rein mechanische Fertigkeit, son-
dern darüber hinaus die Fähigkeit der Kunstbetrachtung voraussetzt. Aus-
übende Musiker stehen wohl in Beziehung zur Theorie der
Kunst, aber nicht als Künstler, sondern als Kunstbetrachter.

Wenn wir nun zur Mimik übergehen, soweit sie sich als Pantomime oder als
Tanz darstellt, so liegt die Sache schon anders. Da wir in diesen Kunstzweigen
keine Notenschrift haben1), ist der ausführende Künstler in seiner
Darstellung mehr oder weniger schöpferisch. Es kann zwar ein
Direktor da sein, ein Autor pantomimischer Farcen oder Tänze, der den Darstel-
lern ihre Aufgabe auseinandersetzt und den Grundplan des Werkes herstellt; aber,
wenn dieser auch der Schöpfer des Ganzen ist, die Einzelheiten werden immer ihre
Verwirklichung der eigenen Phantasie der Darsteller zu danken haben, weil man
ihnen ihre Aufgabe nicht bis ins Einzelne vorschreiben kann. Und, wenn man
ihnen auch ganz detaillierte Erklärungen gibt, so werden sie doch immer in Wor-
ten oder Figuren bestehen, die sie erst in Gesten, Stellungen, Schritte übertra-
gen müssen, so daß sie bis zu einem gewissen Grade selbst schöpferisch werden.
Hier liegt der Fall umgekehrt wie vorher. Wie sehr auch die Kunst der Panto-
mime in Verfall geraten ist, da sie jetzt fast ganz auf den Zirkus und vulgäre
Straßenschaustellungen beschränkt ist, die Darsteller dieser so wenig bedeutenden
Kunst wirken schöpferisch, sind wahrhaft Künstler, wie auch ihre Arbeit Kunst
ist, so wenig Bedeutung und Dauer sie auch wegen des erwähnten Fehlens einer
Niederschrift haben mag.

Und wie steht es mit der dramatischen Darstellung? Sie ist
Kunst, die Schauspieler sind Künstler — und nicht nur die großen
Interpreten, denen man gleichen Beifall und Anerkennung zollt wie den Musikinter-
preten, sondern auch die bescheidensten und unbedeutendsten. Deren Kunst kann
zwar nur wenig wert sein, sie wird aber immer Kunst bleiben, weil sie immer
Neuschöpfung ist, in der sich die kleine oder große Persönlichkeit des Darstellers
künstlerisch zu äußern hat. In welcher Art von Kunst wird nun der Schauspieler

1) In Spanien sind Rudolf von Labans Bemühungen noch nicht bekannt gewor-
den. (Der Herausgeber.)
 
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