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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Urries y Azara, J. Jordán: Umschaffen und Nachschaffen in der Kunsttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0325
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BEMERKUNGEN.

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schöpferisch? Auch das ist klar. Er ist kein Dichter, er erschafft keine Dichtung,
alles Dichterische eines dramatischen Werkes ist Verdienst seines Autors. Der
Darsteller ist nur mimischer Künstler. Seine Schöpfung besteht in
Gesten, Ausdrucksweisen, kurz in der Mimik, mit der er die Darstellung durchführt.
Sie ist selten in den szenischen Anmerkungen angegeben, und wenn sie es ist, so
nur in Worten, die erst ins Mimische übertragen werden müssen. In gewisser
Hinsicht ist die Arbeit des Schauspielers immer Übersetzung, je nach der
Auffassung ist sie U m s c h a f f e n oder Nachschaffen. Abgesehen von dem
erwähnten Übersetzen der Regiebemerkungen, übersetzt der Schauspieler immer
die Dichtung des dramatischen Autors. Er übersetzt, weil seine Gesten und alles
andere, was er hinzufügt, nicht ganz frei sind, sondern dem Texte der Dichtung
harmonisch angepaßt werden müssen. Doch bleibt es Übertragung, es wird nicht
Kopie oder musikalische Wiedergabe, weil die Sprache der Darstellung von der
des Dichters abweicht. Und es ist eine ganz besondere Übersetzung, weil sie sich
nicht selbst genügt, sondern Hand in Hand mit dem Übersetzten geht und sein
Werk vervollständigt. Ja, noch mehr, sie entspricht ihrem Wesen nach dem dichte-
rischen Werke, wenn es wirklich dramatischen Charakter trägt, d. h. geschaffen ist
für sinnliche Darstellung und sich nicht, wie das Epos, nur an die Phantasie
wendet. Da ist die Kunst des Schauspielers entbehrlich für die imaginativen
Typen, die schon beim Lesen innerlich in aller Lebendigkeit die Personen handeln
sehen und gerade deswegen kaum Schauspieler finden, die sie absolut zufrieden
stellen. Aber ebenso unentbehrlich ist sie es für sensitiv Veranlagte, um die drama-
tische Wirkung zu vervollständigen. Diese Darstellung ist außerdem eine Über-
setzung von hochgradiger, höchst charakteristischer Spontaneität, da ja jedermann,
auch wenn ihm die naturalistischen Auswüchse mißfallen, Naturwahrheit in der
Mimik fordert, mit der der Schauspieler sein Sprechen begleitet, um so das fremde
Werk zu vervollkommnen, oder mit der ein Redner die eigene Rede schmückt.

Wenn die ganze Arbeit des Schauspielers Übersetzung ist, so folgt daraus,
daß er, wie bei jeder Übersetzung, sich zuerst das Werk, das er übersetzen will,
zu eigen machen muß, daß er es Fleisch von seinem Fleische werden läßt. Folg-
lieh muß der Schauspieler nicht nur schöpferisch auf seinem
eigenen Gebiete, der Mimik, wirken, er muß auch ein ausge-
zeichneter Kunstbetrachter auf dichterischem Gebiet sein.
Er muß sich ganz von der Dichtung durchdringen lassen und sie nicht so wieder-
geben, wie der Kopist oder der ausübende Musiker, sondern muß sie übertragen
und in engster Verbindung mit Selbstgeschaffenem ergänzen. Wie der Dichter die
Natur, das Leben betrachtet hat und auf dieser Betrachtung sein Kunstwerk auf-
baut, so betrachtet der Schauspieler das dramatische Gedicht, das er seinerseits
zur Basis für sein Werk macht. Doch geht er hierbei nicht mit unbeschränkter
Freiheit zu Werke, wie in so vielen anderen Fällen von Umschatten, sondern mit
jener begrenzten Freiheit, die dem Übersetzer zukommt. Und noch eine andere
Eigentümlichkeit besitzt die künstlerische Arbeit, um die es sich hier handelt: die
unmittelbaren Quellen ihrer jeweiligen Schöpfung sind nicht, wie in den anderen
Fällen, ausschließlich auf das betreffende Werk beschränkt, sondern sie fließen aus
diesem und aus der Natur. Aus dem Werke entnimmt der Darsteller die allgemeinen
Richtlinien, alles übrige aber muß er, ebenso wie der Dichter aus der Natur, aus
dem Menschen schöpfen. Die Arbeit des Schauspielers ist mithin ein Sonderfall,
nicht nur innerhalb der Kunst, sondern auch innerhalb der Kunsttheorie. Wäh-
rend der ausübende Musiker nur als Kunstbetrachter zu die-
serWissenschaft in Beziehung tritt, und während der Autor
mimischer Werke, wie so viele andere, nur als Künstler zu
 
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