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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Sterzinger, Othmar: Die Gemäldeoptik des inneren Auges
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0332
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316

BEMERKUNGEN.

Nacht, es ist aufreizender, unheimlicher; infolgedessen bekommt die Schwarz-
komponente der Farben auch diesen unheimlichen Charakter und das ganze Bild
strotzt nach längerem Beschauen geradezu von Unheimlichkeit und wird immer
weniger Wirklichkeit. Nach alledem scheinen also Blau und Rosa und ein ge-
wisser Glanz die Hauptfarbcharaktere der Phantasiedinge, wenigstens einer be-
stimmten Gruppe, zu sein. Möglicherweise sind das die Hauptfarben des Licht-
nebels, der sich im Augenschwarz bald diffuser, bald konkreter in ornamentähn-
lichen Erscheinungen zeigt, auf die schon Goethe in seiner Farbenlehre aufmerk-
sam gemacht hat.

Wie kommt nun dieser Glanz zustande? Er ähnelt in seiner Erscheinung
sehr dem stereoskopischen, ist, wie dieser, über das ganze Bild hingegossen.
Haben wir es dort mutmaßlicherweise mit einer Verschmelzungserscheinung zu
tun, so schlüssigerweise auch hier, und zwar dürfte hier der Lichtnebel der ge-
schlossenen Augen in die „Kohärenzflächen" der inneren, der Gedächtnisbilder ver-
schmelzen. Wir hätten also dann bei den Gedächtnisbildern dieselben Erschei-
nungen wie bei den Wahrnehmungen, was durchaus im Einklang mit den Forschun-
gen E. Jaenschs steht, der dieselben Versuche wie mit den Wahrnehmungen
auch mit den Gedächtnisbildern machen konnte. Das gilt natürlich vom Glanz des
darzustellenden Phantasiebildes. Dessen malerische Wiedergabe muß den Glanz auf
andere Weise herstellen, bzw. sich mit einem Pseudoglanz begnügen.

Auf den meisten expressionistischen Gemälden ist das vorgenannte Blau und
Rosa oder Rot unangenehm geschmack- und schmucklos, hat aber sichtlich Ver-
wandtschaft mit dem Blau und Rot, wie es nach völliger Ausschaltung der Apper-
zeption, bzw. des Wahrnehmungscharakters auch Dinge der Außenwelt annehmen,
und wie es nach meiner Erinnerung Kindheitseindrücke aufweisen. So tat ich ein-
mal in einem solchen Zustand von Wirklichkeitsverlorenheit einen gewohnten Blick
aus meinem Fenster in den Hofraum und war erstaunt, welches farbliche Gesicht
er auf einmal bekam. Ich erinnerte mich aber sofort, daß ich als Kind von 3
bis 5 Jahren mit solchen Farben gemalt hatte und daß dies dieselben Farben
waren, die ich einmal auf einem Gemälde des französischen Expressionisten
Andre Derain vorgefunden hatte. Dieses Bild sah ich einmal in München
in einer Auslage und war derart überrascht über die Ähnlichkeit seiner Farben,
dieses gewissen Graublau und Rot, mit denen aus meiner Kindheit, daß ich mich
alsogleich nach der Adresse des Künstlers erkundigte und zu meinem Leid-
wesen erfuhr, daß er in Paris lebe. Einen Anklang an diese eigenartigen Farben
finden wir schon bei P. Cezanne (z. B. Das Haus des Gehängten), aber lange
nicht so ausgesprochen wie bei Derain. Cezanne bildet eben schon einen
Übergang vom Impressionismus zum Expressionismus. Was die erwähnte Schmuck-
losigkeit der inneren Farben, wie ich sie genannt habe, anlangt, so hängt sie viel-
leicht mit einer gewissen erscheinungsmäßigen Rauheit ihres „Aufgetragenseins",
wenn man diesen Vergleich gebrauchen darf, zusammen. Jedenfalls muß diese
Rauheit ihrer Fläche ebenfalls als häufiges Charakteristikum gebucht werden.
Sie ist dann vorhanden, wenn der Glanz fehlt und ist offenbar eine gewisse Auf-
lockerung der Kohärenzfläche. Sie ist an die Seite zu stellen dem lockeren Ge-
füge der Flächenfarben.

An einer anderen kleinen Gruppe Bilder derselben Ausstellung fiel die Ver-
stärkung der Farben auf. Das ist eine leicht zu erklärende Erscheinung. Wissen
wir doch alle, daß sich Dinge in der Phantasie vergrößern und verstärken, wovon
in dieser Zeitschrift (Bd. XII) gehandelt wurde.
 
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