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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0345
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BESPRECHUNGEN.

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und dem Theater, die in ihrer Substanz zweischichtig sind. Können wir vielleicht
auch nicht den Optimismus von Baläzs teilen, daß aus der Wiederentdeckung der
Gebärdensprache eine neue Richtungnahme unserer gesamten abendländischen Kul-
tur zu folgern ist — eher kann umgekehrt der Film als Inflation von Gebärden
empfunden und deshalb von den Feinempfindendsten zurückgeschoben werden — den
künstlerischen Ort des Films hat B. wohl richtig und phänomenologisch scharf
entwickelt. Äußerst überzeugend, wie die dramaturgische Führung der Spielfilme
durch die technischen Verrichtungen der Großaufnahme, des Über- oder Ab-
blendens, der Parallelhandlung, des Verzögerns u. dgl. erhellt wird. — Das Buch
ist zudem flüssig und anregend geschrieben.

Ohne jede ausgesprochene ästhetische Theorie, aber mit entwickeltem künst-
lerischen Feingefühl schreibt W. Pudowkin, der bekannte russische Filmregisseur,
über „Filmregie und Filmmanuskript". Nüchtern und sachlich setzt der Mann der
Praxis auseinander, welche Rolle das Manuskript hat, wie es vom Regisseur spiel-
gerecht in einzelne Szenen, Episoden und Akte erst zerschlagen werden muß und
warum diese „Montage" den entscheidenden konstruktiven Aufbau bedeutet. Er
behauptet, daß sie „der Schöpfer der filmischen Realität ist und daß die Natur nur
das Rohmaterial ihrer Arbeit darstellt". Jeder, der diese an vielen bekannten Bei-
spielen reiche Darstellung aufmerksam liest, wird überzeugt sein, daß der Beweis
o-ecrlückt ist. Und er wird einen tiefen Einblick in die künstlerische Welt des Films,
die „Filmzeit" und den „Filmraum" gewinnen. Er wird einsehen, wieweit der Film
von dem realen Naturvorbild abhängig und den technischen Mitteln der Photo-
graphie verhaftet ist, wie wenig aber bei alledem von Reproduktion zu sprechen, und
wo das ästhetisch Eigene des Films zu suchen ist. — Anschließend behandelt
S. Timoschenko in einem besonderen Kapitel die Bedeutung und Handhabung des
Filmschneidens.

Eine ganz andere Perspektive nimmt demgegenüber Guido Bagier ein, auch
ein Mann aus der Praxis: Produktionsleiter der Tobis. Nicht mit der Struktur des
Films gibt er sich ab, sondern mit der Bilanz der gegenwärtigen Filme, die, wie
jeder weiß, durch die Abhängigkeit von Kapital, Konjunktur und Publikums-
niveau gefesselt sind. Bagier zählt eine Reihe von Schichtungen auf wie z. B.
Natürlichkeit und Kunstfertigkeit, Objektivität und Wärme, Gradheit und Nuance,
die alle im unversöhnlichen Gegensatz von Geist und Technik kulminieren. Dazu
kommen als andere Dimensionen das Groteske, Ironische, Tragische und Didak-
tische, die nationalen Temperamente, das Abstrakte und Gegenständliche; dieses
zerfällt in äußere und innere Handlung, diese wieder untergeteilt u. s. f. Womit
die Zerrissenheit der heutigen Filme, gleichviel ob Kitsch, Mode oder Kunst, bloß-
gelegt werden soll und damit der Weg in die Zukunft als Zusammenfassung der
werthaltigen Elemente. Schlagwortartig, oft reichlich verschwommen, wird im
Leser manches an- und aufgeregt, die heutigen Mächte der Wirtschaft, Technik,
Industrie beschworen, aber nicht bis in die tieferen Gründe des Zusammenhangs
verfolgt. Positive Ergebnisse vermißt man ganz. Denn was heißt das schon
(S. 94): „Der Film als unabhängiges Kunstwerk, — unabhängig von Konjunktur,
Masse, Mode und Wirtschaft im heutigen Sinne — wird kommen, muß kom-
men! Die Kräfte des Geistes und der materiellen Hilfsmittel werden sich vereini-
gen, um diese Forderung zu ertüllen ..." Das tun sie heute schon überall, und doch
ist das Niveau der Durchschnittshlme herzlich niedrig. Warum muß der neue
Film kommen? Welche Stoffe muß er bearbeiten? Darüber sind nur allgemeine
Redewendungen zu finden. Sehr nützlich und geradezu unentbehrlich wird das
 
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