Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

DOI Artikel:
Kuznitzky, Gertrud: Die ästhetische Gefühlswahrheit, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0016
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2

GERTRUD KUZNITZKY.

gemeint ist, ist gleichbedeutend damit, daß es in einem eindeutigen
sprachlichen Ausdruckszusammenhang auszusagen ist. Das Verhältnis
sinnmäßig subjektiver Erlebnisse zur Sprache ist dagegen nicht das des
Begriffs zum Wort, sondern es ist das Verhältnis des fraglichen Erleb-
nisses zu einem im Wort niedergelegten Erlebnis. Der Sinn der Sprache
in der Bezeichnung des Gefühlten ist Abbildung, Abspiegelung, Repro-
duktion. Der sprachliche Ausdruck will hier andeuten, nachfühlen lassen,
was gefühlt ist; wie das Gefühlte seinem Sinne nach ein Gegenwärtiges
ist, so appelliert auch sein sprachlicher Ausdruck an unsere Fähigkeit,
es uns zu vergegenwärtigen.

Die Sprache ist, wenn sie vom Gefühl spricht, Bildersprache, weil
ihre Leistung alsdann nicht ist, einen Gegenstand zu bezeichnen, seine
sachliche Bestimmtheit zu vertreten, sondern vielmehr fühlbar zu machen,
wie Gegenstände in Gegenwartsaufbauten, Erlebnisaufbauten treten. Die
Unbestimmbarkeit, „Unbeschreiblichkeit" des Gefühls ist also nicht ein
Unvermögen der Sprache, sondern ein Bestimmungszug des Gefühls
selbst. Jene bildlichen Ausdrücke wollen treu wiedergeben, was und wie
wir fühlen, sie wollen die Meinung, den Sinngehalt des Gefühls wieder-
geben und sie können dabei nur bildlich sein, weil das Gefühl sich
selbst nur in Bildern Rechenschaft über sich ablegen kann. Indem das
Gegenwärtige nicht irgend ein jetzt Geschehendes, Erinnertes, als dies
und das Erkanntes, sondern ein jetzt Erlebtes, als „jetzt" Erlebtes,
mein Erlebnis jetzt, mein Erlebnis meiner jetzt ist, ist es zwar auch
Gegenwärtiges und als solches Seiendes. Es ist Tatsache, zeitlicher Vor-
fall, Ereignis. Dennoch stellt es sich in eine andere Reihe als alle ande-
ren Tatsachen, indem es sich der Bestimmtheit in eindeutiger Bezeich-
nung entzieht. Indem es sich bildlich bezeichnet, bezeichnet es sich eben
nicht sachlich. Wenn ich dem Verkehr auf der Straße zusehe und ich
sehe plötzlich einen Menschen, der sich hier in Gefahr bringt, wenn ich
über diese Gefahr erschrecke, so hat alles, was mir hier gegenwärtig
wird, die Straße, die Wagen, die Fußgänger selbst seine Bestimmtheit,
seine begrifflich geordnete Zugehörigkeit — nur nicht das Schreckhafte,
was jetzt geschieht, und mein Erschrecken; das alles also, was den In-
halt meines Fühlens jetzt ausmacht.

So tritt das Gefühl sinnmäßig aus der Erfahrungsbestimmtheit her-
aus. Aber zugleich tritt es mit einem eigentümlichen Geltungsanspruch ihr
zur Seite. Die bewußte Bildlichkeit der Gefühlsaussprache bringt zu-
gleich in der Subjektivität des Gefühlsgehaltes auch diesen Geltungs-
anspruch zum Ausdruck. In dieser Bildlichkeit nämlich ähnelt sich das
Gefühl Tatsachen wahrgenommener Wirklichkeit an. Es weiß sich
immer von ihnen entfernt. Der bohrende Schmerz ist nicht das Wirken
eines Bohrers und die strahlende Freude nicht die Ausstrahlung einer
 
Annotationen