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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0086
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72

BESPRECHUNGEN.

als ihres Trägers begriffen werden soll. Indem dessen Vorstellungsweise sich aus
den äußeren (kulturellen) und inneren (biologischen) Lebensbedingungen erklärt,
wird der Anschluß an die Naturwissenschaft hergestellt. Das Endergebnis der
einleitenden Gedankengänge wird nun in der grundlegenden Aufgabe zusammen-
gefaßt, daß die Entfaltung (bzw. Wandlung) des räumlichen und zeitlichen Vor-
stellungsvermögens auf allen Gebieten des Geisteslebens durch die abendländische
Kulturentwicklung zu verfolgen sei. Bestimmend für diesen Ablauf erscheint dem
Verfasser vor allem der Gegensatz zweier verschiedenen Vorstellungstypen der
simultanen oder sukzessiven Auffassung der inhaltlichen Gegebenheiten von Raum
und Zeit, zwischen denen innerhalb jeder der beiden Vorstellungsweisen eine un-
begrenzte Mannigfaltigkeit der möglichen Verknüpfungen besteht. Daraus soll
sich im wesentlichen der Stilwandel in Kunst, Philosophie und Wissenschaft
erklären.

Die Untersuchung wird nun unter dieser Grundvoraussetzung zunächst rück-
läufig und erst später fortschreitend geführt. Sie nimmt ihren Ausgang von der
Renaissance als Anbeginn der Neuzeit im Sinne des historischen Geltungsbereichs
der mathematisch-naturwissenschaftlich begründeten Weltanschauung. Damit er-
hält der Wortbegriff, der seit seiner Aufstellung durch Michelet eine Bedeutungs-
verschiebung (bei Burckhardt und Burdach) und -erweiterung (bei Thode, Schmar-
sow u. a.) durchgemacht hat, hier eine schärfere Ausprägung. Es kann freilich
nicht genug betont werden, daß der neue Geist das neue Weltbild erst allmählich
im Laufe der Jahrhunderte aufgebaut hat. Die Anfänge des neuzeitlichen theore-
tischen Denkens erblickt Frey, wie vor ihm schon L. Olschki (Gesch. d. neusprachl.
wiss. Literatur. 1918, I, S. 30 ff.; vgl. Zeitschr. f. Ästh. 1923, S. 287 ff.) in licht-
vollen Ausführungen gezeigt hatte, in der angewandten mathematischen Wissen-
schaft der Kunst und des Handwerks eines Bninelleschi und seines Kreises. Im
künstlerischen Schaffen wird man sich zuerst des Gegensatzes zum vorhergehen-
den Zeitalter der Gotik bewußt, — mit voller Klarheit jedoch nicht der von Frey
als Denker überschätzte Ghiberti, der die moderne Kunst schon mit Giotto begin-
nen läßt, sondern als erster wahrer Kunsttheoretiker Alberti, der die neue mathe-
matisch optische Erkenntnis systematisch zusammenfaßt und in die humanistische
Begriffsbildung einfügt (vgl. W. Flemming, Die Begründung der modernen Ästhe-
tik und Kunstwissenschaft durch L. B. Alberti. 1916 u. Zeitschr. f. Ästhetik, 1918,
S. 318 ff.). Daß die Begründung der zentralperspektivischen Sehtheorie für die
Vorstellungsweise in Kunst und Wissenschaft eine umwälzende Bedeutung gewinnt,
ist der unbestreitbare Grundgedanke, von dem der Verfasser (laut Vorwort) in
seiner gesamten Betrachtung ausgegangen ist. Als der entscheidende Fortschritt
über die antike (euklidische) Optik und die mittelalterliche Perspektive ist die
ideelle Einschaltung der Bildebene in den Sehstrahlenkegel (bzw. die -pyramide)
anzusehen, deren Auswirkung der Verfasser für die einzelnen Künste eingehend
würdigt. Sie ermöglicht zwar nicht erst die zeichnerische Ableitung jeglicher
Schrägansichten von dem Gegenstande — solche der menschlichen Gestalt hatte
schon das Florentiner Trecento in Menge entwickelt —, wohl aber seine schär-
fere räumliche Erfassung im Disegno mittels der circonscrizione (praktisch durch
die äußeren Hilfsmittel des Schleiers oder der Glastafel) und die Steigerung der
Tiefenwerte durch äußerste Verkürzung, wie in der bei Frey abgebildeten Pietä
Mantegnas. Die Konstruktion bestärkt also nur die lebendige plastische Vorstel-
lungsweise des beginnenden Quattrocento. Viel tiefgreifender ist ihre Einwirkung
auf die Gestaltung des Bildraumes. Sie führt hier durch Zusammenfassung der
herkömmlichen willkürlichen perspektivischen Gliederung der Decke und der
 
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