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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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Hoerner, Margarete: Die Naturanschauung des Spätbarock in Literatur und bildender Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0162
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BEMERKUNGEN.

sein Herumschweifen selbst als ertraglos: „Walking about here like a man of
nothing to do and spending our time in sparing about the nonsense and ignorance
of the pagans"1). Wieder also ist es nicht das Ziel, der Gegenstand, der in der
Ferne winkt, sondern das Schweifen an sich, die Ruhelosigkeit, Gestaltlosigkeit und
Undeutlichkeit, die ihn zu stets erneutem Aufbrechen zwingt: „when I was at home,
I was restless to go about, and I was abroad, I was restless to go home. I say
what game was this to me?"2).

Gerade aber diese Haltung wird von Rousseau, dem Verkünder des neuen
Ideals, der neuen Zeit, später aufs heftigste getadelt. Hier finden wir den Gegen-
satz, das, was ein Mensch des Spätbarock nicht suchte und sah: „Was tut der
Mensch, der lebt um wirklich zu leben, der sich selbst genießt, der die wahren,
einfältigen Vergnügungen sucht, wenn er unweit der Stätte seines Hauses lust-
wandelt? Nicht erregt er sich an weiter Fernsicht, denn die Freude an
der Ferne stammt von der Neigung der meisten Menschen, sich nicht an ihrem
Selbst genügen zu lassen, immer sind sie begierig nach dem, das fern von ihnen
ist. ... Aber der Mann, von dem ich hier spreche, besitzt nicht diese Unruhe,
und wenn es ihm wohlergeht, da wo er ist, so sehnt er sich nicht nach anderem
Ort"3).

Denn die „Freude an der Ferne" — gibt es einen treffenderen Ausdruck für
die Kennzeichnung der spätbarocken Gartenanlagen im Gegensatz zu denen des
Barock und wiederum zu denen des Klassizismus? Der französische Garten mit
seinen ornamentalen Parterres, den regelmäßigen Bosketts, den langen Auffahrts-
alleen, in dem nichts ein Eigenleben und somit Gegenständlichkeit gewinnen kann,
ist ein deutliches Kennzeichen für das Ausweichen vor jedem Sichfestlegen, jeder
Begrenzung, jeder Akzentuierung. Die Flachheit des Geländes, das jede Zentrali-
sierung unterbindet, die Flachheit auch der Gebäude, sind charakteristisch für dieses
Darüberhin, das kein Verweilen, kein Sichsammeln duldet.

Schwieriger zu deuten bleibt das frühe Auftauchen der Idee des englischen
Gartens. Aber der frühe „englische" Garten, der Landschaftsgarten, unterschied
sich wesentlich von dem englischen Garten, wie ihn die Zeit um 1800 kennt. Ihm
haftet noch nichts Idyllisches an, wenn wir das Idyll als Sammlung, Nähe und
Vergegenständlichung des Naturerlebens dem Prinzip der Ferne gegenüberstellen.
Zwar verlangt Pope den Kontrast als eine Regel der Gartenanlage, wichtiger ist
aber doch die „smoothness" Burkes und die von Hogarth gepriesene undulierende
Schlangenlinie4). Statt schroffer Felsen wie im Barock, steiler Wasserfälle, die die
Blicke auf sich ziehen, gegenständlich wirken, bevorzugt man die sanften Hügel,
buchtenreichen Seen, zwischen denen sich mäßig an- und absteigende, nie von
Stufen oder kreuzenden Wegen unterbrochene Pfade schlängelten. Der Kontrast
ist also eher als sanfter Übergang von einem zum anderen aufzufassen, von dem
dunklen Grün der Bäume zum helleren Grün des Rasens bis zum grünsilbrigen
Spiegel der Wasserfläche. Man vermeidet ängstlich allzustarke Farbengegensätze,
Blumen und blühende Sträucher werden in den Nutzgarten verbannt. Auch aller
architektonische und plastische Schmuck fehlt dem frühen, alle Akzente vorsichtig
umgehenden englischen Garten, während der klassische englische Garten mit solchen
„Motiven" mitunter förmlich überladen ist. So ist das Sanfte, Laxe, Unbestimmte
die genaue Parallele zu der feuchten, schillernden Naturschilderung. Im Grunde

i) Defoe, a. a. O. II, S. 265.
-) Defoe, a. a. O. II, S. 196.

3) Nouvelle Helo'ise, zitiert nach A. Reichwein, China und Europa im 18.
Jahrhundert, Berlin 1923, S. 123.

4) Gothein, Geschichte der Gartenkunst. Jena 1914. Bd. II, S. 371.
 
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