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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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Habicht, Victor Curt: Zur Frage der Wissenschaftlichkeit der Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0164
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BEMERKUNGEN.

statt wie bei uns mit einem Gemachten und bereits Existierenden — zu tun haben,
wäre an sich kein kategorialer, wenn nun nicht doch eine nie bestrittene und auch
nicht bestreitbare Anwartschaft des Kunstwerks, zu den geistigen Emanationen zu
zählen, dazwischen käme. Aber damit noch nicht genug, strebt jedes große Kunst-
werk unbezweifelbar in eine Domäne, die dem Metaphysischen oder Religiösen ver-
wandt, eine Seelensprache oder -Verbindung mit dem Betrachter herzustellen sucht.
Aber während es Metaphysik und Religionswissenschaft immerhin noch mit wort-
gebuiidenen und deshalb gradweise auch begrifflich verfolgbaren Aussagen zu tun
haben, ja sogar die Musikwissenschaft begrifflich transponierbarere Anhalte vor-
findet, ist und bleibt hier der eigentliche Kern versteckt. Wir haben es mit anderen
Worten nicht wie die technischen oder Naturwissenschaften nur mit Objekten, wir
haben es ferner nicht wie die Philosophie (bzw. Logik) mit Begriffen und schließ-
lich nicht wie die A<letaphysik oder Religionswissenschaft mit Seelenkundgebungen
allein, wir haben es mit allen diesen drei Faktoren zugleich zu tun. Jeder
Versuch, unsere Wissenschaft einer dieser Hauptdisziplinen aus dem Wunsche
heraus, endlich anerkannt unter Dach und Fach zu sein, einzugliedern, wird daher
scheitern. Selbst die uns ihrer Arbeitsgebiete wegen nahstehenden Disziplinen der
Literatur- oder Musikwissenschaft können und werden uns nie als ihnen vollzugehö-
rige anerkennen können. Der durchaus berechtigte Anspruch auf eine Sonder-
stellung unserer Disziplin wird aber nur dann volle und unbestrittene Anerken-
nung finden, wenn sie gewahrt wird und von uns selbst den drei Erlementar-
funktionen Genüge geschieht. Nicht daß man uns als Eindringlinge, etwa in der
Philosophie, ansieht, sondern daß mit Recht gefühlt wird, daß eine einseitige Ein-
reihung unserer Wissenschaft in diese Disziplin ihren eigenen Forderungen weder
entspricht, noch genügt, ist der wahre Grund, warum das Lebensrecht unserer
Wissenschaft von den Nachbardisziplinen vielleicht nicht gerade bestritten, aber
zum mindesten angezweifelt wird. Schließlich ist auch die manchmal erschreckende,
oft sehr heilsame nüchterne Ehrlichkeit unserer Zeit mit ein Grund dafür, daß
mit der Zweckfrage die nach der Lebensberechtigung verknüpft wird. Die mate-
rielle und die noch weit schlimmere geistige Not (oder Bedürftigkeit) unserer Zeit
hat schon ein Recht (sogar eine Pflicht), nach lebenfördernden, unabweislichen
Leistungen zu fragen. Es kommt der Abbau des seither gültigen sog. wissen-
schaftlichen Weltbildes dazu, der sehr leicht geneigt sein könnte, in sich selbst
noch nicht einmal klare, sich selbst bezweifelnde oder ängstlich konstituierende Dis-
ziplinen wie die unsere, als unnötige Halbheiten oder Extravaganzen abzulehnen.
Gewiß wäre es mit einer „Wissenschaft" schlecht bestellt, die es aus Torschluß-
panik für nötig hält, sich den üblen sog. „Bedürfnissen des Tages" anzupassen;
noch schlimmer aber, wenn sie aus einem längst gefühlten Dilemma heraus unter
Verleugnung ihrer Lebensbedingungen einseitigen Anschluß und Rezeption in einer
der Nachbardisziplinen zu suchen strebt. Die von vielen Seiten erstrebte, „vor-
nehmste" Deckung durch die Philosophie entspricht nicht nur nicht den Voraus-
setzungen, sie wird sich auch sehr bald in empfindlicher — und vielleicht n i e
wieder gut zu machender — Weise rächen. Ehrliche Selbstbesinnung, ein auch
sonst auffallend oft beschrittener Weg unserer Zeit, scheint auch hier der beste
Ausweg. Man wird zunächst ohne weiteres zugeben, daß Kennerschaft, Be-
greifen und Deuten auch an sich so hohe Werte des Wissens — d. h. der Wis-
senschaft in einem allgemeineren Sinne — darstellen, daß man angesichts von Ge-
stalten wie Bode, Wölfflin oder Friedländer von einer Nichtwissenschaftlichkeit un-
serer Disziplin zu sprechen, nicht den geringsten Grund hat. So sehr es sich bis hier-
her um die Feststellung von Selbstverständlichkeiten gehandelt hat, ebenso sehr
mangelt es in unserer Disziplin doch an Einstimmigkeit, daß die drei grundlegenden
 
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