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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0219
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BESPRECHUNGEN.

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plastik beschränkt, während Poulsen Metallgefäße, Elfenbeinarbeiten, Bronzereliefs,
Steinreliefs, Schmuck u. a. heranzog, andererseits in der Berücksichtigung des
3.—2. Jahrtausends, während Poulsen sein Interesse hauptsächlich den ersten
Jahrhunderten des letzten Jahrtausends v. Chr. zuwendete. Das entspricht unserem
in den letzten Jahrzehnten ungeheuer erweiterten Blick in die Frühkunst des
Orients, unserem so ungemein gewachsenen Interesse für primitive Kunstübung und
unserer Vorliebe für ausdrucksvoll häßliche Kunst. Viele der von Müller veröffent-
lichten Werke können es hierin mit der wildesten Südsee- oder Negerplastik auf-
nehmen. Wer hätte vor 50 Jahren geglaubt, daß derartige unbeholfene Versuche die
Vorbilder und Vorstufen der klassischen griechischen Kunst seien? Freilich, ich
glaube noch heute, daß viele dieser von Müller als „Kunstwerke" behandelten
Statuetten nicht nur vom Standpunkt der „klassischen Ästhetik" (vgl. S. 21), son-
dern absolut nur als primitive Versuche unbegabter Rassen gewertet werden dür-
fen, nicht als bewußte Werte von „Künstlern", einem Namen, mit dem Müller sehr
verschwenderisch umgeht. Müller verkennt ja selbst keineswegs, daß vieles an dem
von ihm untersuchten Material weder Ausdruck einer Zeit noch eines Volksgeistes,
sondern nur primitive Einfachheit und Neigung zur Schematisierung ist, wie sie
allen primitiven Völkern eigen ist. Er prägt dafür (S. 45) den sehr guten Ausdruck
„Konvergenz auf gleicher Grundlage der Primitivität". Dabei ist es bewunderns-
wert, wie er einerseits durch liebevolle Versenkung in alle Einzelheiten der Körper-
bildung, der Kopfform, der Annhaltung die eigene Individualität jedes Stücks, alle
feinsten Nuancen und Differenzen zwischen den einzelnen Gruppen sieht, dabei aber
andererseits das Gemeinsame und Allgemeine größerer Gebiete im Auge behält und
die großen Zusammenhänge, Beeinflussungen, Durchdringungen der nach Rasse
und Zeit verschiedenen Kulturen erkennt. Auf kleinerem Gebiet hat er Ähnliches
schon in seinem Aufsatz über die Gewandschemata der archaischen Kunst (Athen.
Mitt. XLVI 1921, 36 ff.) geleistet. Jetzt hat es ihn zu einem großartigen Aufbau
der antiken Frühkunst geführt, der in den Hauptlinien wohl bestehen bleiben wird.
Die erste Entwicklung führt von einem primitiven, wahllosen und unbeholfenen
Naturalismus zur Schematisierung. Aus der Frühkunst hebt sich im 2. Jahrtausend
die minoische Kunst Kretas zu selbständiger Höhe. Die beweglichen und lebendigen
Figuren stehen in schroffem Kontrast zu der Kompaktheit und Ruhe der mesopota-
mischen Kunst. Diese bildet einen „Blockstil" aus, der auf die kleinasiatisch-syrische
Kunst wirkt, die aus sich selbst heraus mehr zur Auflösung der Kompaktheit in Ein-
zelformen neigt. Daher ist diese Kunst besonders geeignet, die noch lange aüf der
tiefsten Stufe der primitiven Roheit beharrende frühgriechische Kunst in den ersten
Jahrhunderten des ersten Jahrtausends v. Chr. zu beeinflussen. Diese primitive
griechische Kunst zeigt einen „Spreizstil", d. h. sie hat im Gegensatz zu dem ge-
schlossenen Volumen des Orients die Neigung, die Extremitäten vom Rumpf abzu-
spreizen, das erste Zeichen der griechischen Aktivität und Schaffenslust. Aus dem
primitiven Spreizstil wird durch Verdünnung der Glieder und des Rumpfes und Be-
tonung des Absetzens der Teile von einander der „Gliederstil". Dann aber kommt
— begünstigt durch eigene gleichgerichtete Tendenzen — der Einfluß des Orients,
der zu einem Zusammenschließen der Glieder zu einer ruhenden kompakten Ein-
heit, dem „Blockstil", führt. Dies ist die in das 7. Jahrhundert zu datierende ent-
scheidende Phase der griechischen Kunst, in der die griechische Aktivität durch den
konstituierenden Einfluß des Orients im Rhythmus des Aufbaus gebunden und or-
ganisiert wird. Ein schon in der mykenischen Kunst bemerkbares tektonisches Prin-
zip setzt sich jetzt entscheidend durch. Das eigene Prinzip wird durch den fremden
Einfluß aus einer Dynamis zur Energeia erweckt. Langsam dringen die neuen For-
men über Kypros, Ionien, Rhodos, Kreta nach dem Peloponnes, erst später nach
 
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