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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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Wellek, Albert: Der Sprachgeist als Doppelempfinder: ein Beitrag zur musikalischen Psychologie und Ästhetik der Sprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0243
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DER SPRACHGEIST ALS DOPPELEMPFINDER. 229

tiv, bitter und herb dagegen besonders stark ambivalent (vgl. auf der
Plus-Seite scharf, spitz, stark). — Eine auffällige Ambivalenz dieser
Art liegt indes auch bei den thermischen Zuordnungen vor, welche
gleichwohl in der obigen Aufstellung (notgedrungenermaßen) eindeutig
vorgenommen worden sind. Warm und kalt ist hier, je nach individuel-
lem Empfinden, auch vertauschbar: wie ja „heiß", schon physiologisch,
eine Synthese von Warm und Kalt bedeutet. Die von uns getroffene
Wahl indessen stützt sich auf die thermische S y n o p s i e, derzufolge
fraglos warme Farben warm, kalte kalt, allgemeiner Licht warm und
Dunkel (Schatten) kalt sein muß. — Letztlich weist auch das oben
in Klammern gehaltene Paar klein — groß eine solche Doppeldeutigkeit
auf. Unabhängig betrachtet würde „groß" eher nach der Plus-Seite
weisen, und die Entsprechung zu Stark und Schwach bestätigt diese
Zuordnung6).

Vorgesehen nun, daß jedes von unseren Paaren mit jedem be-
liebigen anderen Paare in potenzieller Entsprechung steht, ist hiemit
ein Universalschema der Urentsprechungen angebahnt, das zwar noch
erweiterungsfähig, zummindesten aber für unsere Zwecke vorderhand
ausreichend ist.

Eine derartige Entsprechung aller mit allen hat auch in dem Be-
wußtsein, oder der Empfindungsweise, des typischen Doppelempfinders
statt: das Doppelempfinden pflegt eine mehr oder minder ausgebildete
Verknüpfung aller Sinne mit allen herzustellen. Der typische Syn-
ästhetiker ist ein Universal-Synästhetiker. —

So viel zur notdürftigsten Grundlegung des vorliegenden rein
skizzenhaften Versuchs! Es sei hier gleich vorweg betont, daß dieser
Versuch keineswegs im strengen oder Schul-Sinne als philologische,
vielmehr als sprachphilosophische, insbesondere sprachpsychologische
Analyse verstanden sein will.

2. Herders synästhetische Sprachtheorie und das
Laut-Sinn-Problem.

Die Idee einer synästhetischen Sprachtheorie, einer Entstehungs-
geschichte der Sprache aus der Übertragung oder „Projektion" aus
einem „Sinnesraum" in den anderen, verdanken wir keinem Geringeren
als Herder in seiner „Abhandlung über den Ursprung der
Sprache" (1770).

Herder gewahrt im Wort zunächst den Sinnenwert des Klanges, und
wie die Sprache also durch die Gemeinsamkeit des Klanges das Tönende

6) Neuestes zum Problem der Zuordnungen s. bei E. M. v. Hornbostel,
„Über Geruchshelligkeit", Pflügers Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 227, 1931,
S. 517—38. [Anmerkung zur Korrektur.]
 
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