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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0294
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BESPRECHUNGEN.

gewann. Aber daß L. hier in seiner impulsiven Art den gedankenlosen Begriffs-
formulierungen der Kunstjournalistik oder auch den begrifflich unzureichenden
„Grundbegriffen" der Kunstwissenschaft auf den Leib rückt, schadet gar nichts.

Die Stiltypen, aus denen L. selbst sein Entwicklungssystem gewinnt — oder
auch umgekehrt —, sind der primitive, der klassische und der barocke,
und es sind diese drei sich ablösenden und zu immer größerer Verwicklung schrei-
tenden Stilprinzipien, die er von verschiedenen Gesichtspunkten aus untersucht: in
bezug auf die Struktur der Kunstform, auf die Linienführung, das Kolorit, die
Gruppierung, den Rhythmus, die Ausdehnung. Lassen wir ihn aussprechen: die
Struktur der primitiven Form ist einfach, eine unzusammengesetzte Masse — die
klassische Struktur ist konstruiert, eine aus untergeordneten Gliedern zusammen-
gesetzte Einheit — die barocke Struktur ist die durchdrungene, verflochtene. Zur
Linienführung: die Linie der primitiven Form ist fortlaufend, ohne Unterbrechung
—■ die klassische Linie ist überschnitten — die des barocken Geflechtes intermit-
tierend, abwechselnd. Das Kolorit des primitiven Stils ist gleichmäßig, und der
Rand des Farbfleckens fällt mit der Kontur der Form zusammen — das klassische
Kolorit ist schattiert und läßt die Kontur weg — das barocke Kolorit ist opalisie-
rend, irisierend und die eventuelle Kontur fällt nicht mit dem Rand des Farbfleckens
zusammen. In der Gruppierung ist die primitive Form juxtaponiert, sie bevorzugt
die Reihung gleichförmiger Elemente — die klassische Gruppierung liebt teilweise
Bedeckung der Figuren — die barocke Gruppierung führt zur Durchdringung der
Figuren. Der primitive Rhythmus ist die symmetrische Ordnung — der klassische
das Kontrapost — der barocke die Torsion; dazu unterscheidet L. noch die parallelen
und strahlenförmigen Systeme der Primitive, die eckigen Systeme der Klassik, die
sich kreuzenden des Barock. Endlich die Ausdehnung: die Ausdehnung der primi-
tiven Stilform ist zweidimensional, der klassischen dreidimensional, während L. in
der barocken Stiltendenz vier Dimensionen erkennen will, ohne entscheiden zu wol-
len, ob es sich bei dieser vierten Dimension um eine andere Art Raum oder um die
Zeit handelt. Fragt man nun, wie L. sich die Ablösung dieser drei Stilstufen im
Laufe der gesamtkünstlerischen Entwicklung denkt, so zeigt sich, daß er eine fort-
gesetzte Wiederholung dieser Stilabfolge in immer größeren bzw. kleineren Perio-
dizitäten annimmt. So unterscheidet er zunächst umfassend eine primitive Urzeit,
ein klassisches Altertum, eine barocke Neuzeit. Diese barocke Neuzeit, um nur
dieses Beispiel zu nehmen, gliedert sich nach L. wiederum in die „primitiven" byzan-
tinisch-mohamedanischen Kulturen, deren Unterstufen wir nicht erfahren, weil sie
leider erst „in Bearbeitung" sind. Die „klassische" germanische Kultur dagegen
spaltet sich in den „primitiven" romanischen Stil, den „klassich" gotischen und ein
Barock, das sämtliche Stile seit der Renaissance umfaßt. In unserer Zeit fällt dann
die Wende zu einem tausendjährigen Reich, das als barocke Stilstufe der barocken
Neuzeit wirklich nur das non plus ultra des Barocks bringen kann.

Bedenkt man, daß das vorliegende Buch etwa 150 Seiten umfaßt, daß der Ver-
fasser dabei „die Kunst aller Zeiten und Völker" von den Tierzeichnungen des
Aurignacien bis zu Kokoschka, von mexikanischen Tempelbauten und japanischen
Lackarbeiten bis zum Arbeitszimmer des Architekten L. Kozma berücksichtigt, ja
daß er sich in den einzelnen Kapiteln — über Struktur, Linienführung usw. —
immer von neuem auf das gesamte historische Material beziehen muß, so versteht
sich, daß hier von einer methodisch durchgebildeten, kritisch-systematischen Unter-
suchung keine Rede sein kann. Schon bei der Zusammenstellung der schönen, an
und für sich gut gewählten Tafelabbildungen — Gauguin neben einem ägyptischen
Relief, eine Negerplastik neben dem Gewölbe der St. Georgskirche in Dinkelsbühl
— denkt man, „wenn das nur gut geht", und wenn der Verf. dann in seiner gei-
 
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